Ungeheuer
1
Das Auto holperte über die knorrigen Wurzeln, bremste und hielt mit einem Ruck. Der Kopf der Frau auf dem Beifahrersitz kippte zuerst nach vorn, dann rollte er zur Seite und blieb mit der Schläfe an der Scheibe liegen. Es sah aus, als schliefe sie friedlich.
Der Mann betrachtete noch einen Moment lang die tiefhängenden Äste der Fichten im Kegel der Scheinwerfer und schaltete dann das Licht aus. Sofort kroch die Dunkelheit in das Auto und umschloss die Personen darin wie ein schwarzer Nebel. Er ließ die Scheibe herabfahren und lauschte in die Nacht. Nichts außer dem feinen Rauschen der Blätter. Die Waldluft roch nach modrigem Laub und Nadeln, vermischt mit einem Hauch von Pilzen. En lauer Luftzug streichelte über seine nackten Unterarme.
In der Ferne klagte ein Vogel. Dann war es wieder still. Totenstill.
Der Mann grinste. Seine oberen Eckzähne schimmerten bleich. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und Umrisse schälten sich hervor.
Beim Abziehen des Zündschlüssels schaute er nach rechts. Der Kopf der Frau lehnte noch immer schlaff gegen das Fenster.
Er öffnete seine Tür vorsichtig. Während er nach hinten zum Kofferraum ging, hielt die linke Hand Kontakt zum kühlen Metall der Karosserie. Die Kofferraumklappe glitt mit einem feinen Ächzen nach oben. Das Lämpchen an der Innenseite
beleuchtete die Werkzeugkiste nur ungenügend, aber er brauchte kein Licht, um zu wissen, welche Dinge sich darin befanden. Alles war ordentlich verstaut.
Zuerst öffnete er die Schnürsenkel und schlüpfte aus den Schuhen. Der Reißverschluss der Jeans machte ein Zirpgeräusch, dann glitt die Hose nach unten. Der Mann rollte den Stoff zu einem Bündel und legte die Hose dann neben die Schuhe in eine Klappkiste. Oberhemd und T-Shirt folgten.
Er stand ein paar Sekunden lang in Boxershorts vor dem geöffneten Kofferraum, drehte sich dann wie tanzend einmal um die eigene Achse und versuchte, den Wald mit seinen Blicken zu durchdringen. Wieder schrie der Nachtvogel.
Mit einem Schmatzen rutschte die Gummioberfläche über seine frisch rasierten Beine. Er zog beide Hosenbeine nach oben und drückte dabei die Fersen in die anhängenden Stiefel. Das Latex fühlte sich auf der Haut kühl und pudrig an.
Als Nächstes schob er seine Finger in die Chirurgenhandschuhe. Einen nach dem anderen. Im Anschluss daran zog er sich den Anzug über die Brust, schob die Arme in die Ärmel und zurrte den Reißverschluss bis zum Hals nach oben. Die Handschuhe des Anzugs hatte er zu Hause abgeschnitten. Das Material war ihm zu derb für feinere Tastempfindungen erschienen.
Mit über den Kopf erhobenen Armen drehte der Mann eine erneute Pirouette. Fast fertig, nur die Gesichtsmaske fehlte noch.
Für Perverse gab es im Netz alles. Das Zeug war nicht billig, aber Fetischisten schienen bereit, eine Menge dafür auszugeben. Und für seine Zwecke war ein Vollgummianzug genauso gut geeignet, wie um darin Sexspielchen zu treiben.
Er nahm den Rucksack heraus, klappte den Kofferraum zu
und blieb stehen, um seine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die ihn umgebende Luft brachte einen Hauch Fichtennadelbad mit, der ihn an seine Mutter – die erbarmungslose Hexe – erinnerte.
Nach etwa einer Minute ging er zur Fahrertür. Die aufflammende Innenbeleuchtung verlieh dem Gesicht der Frau einen kränklich gelben Schein. Der Mann legte den Rucksack auf seinen Sitz und klappte die Tür wieder zu. In der samtigen Dunkelheit tappte er um die Kühlerhaube herum zur Beifahrerseite.
Es war nicht ganz finster. Über ihm, im schmalen Spalt Himmel, den der Waldweg zwischen den Fichten gelassen hatte, hing der Halbmond wie eine silbrig glänzende Sichel.
Der Mann zog am Türgriff und musterte die Frau auf dem Beifahrersitz im schwachen Licht der kleinen Lampe. Ihre Lider flatterten. Dann stöhnte sie leise. Nicht mehr lange, und sie würde erwachen.
Er gab sich einen innerlichen Ruck. Es wurde Zeit, das Wild zu dem vorherbestimmten Platz zu bringen, bevor es zur Besinnung kam und ahnte, was geschehen würde.
Der Gurt rollte sich mit leisem Surren auf, und dann glitten seine Latexfinger unter die Achseln der Frau.
Der Mann stemmte sich mit den Gummistiefeln in den weichen Waldboden, zog das schlaffe Opfer vom Sitz und ließ es auf den moosigen Boden gleiten. Dann beugte er sich noch einmal in den Wagen, langte nach den Trägern des Rucksacks, zog ihn heraus, stellte ihn neben die Frau, schloss die Tür und blieb für ein
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