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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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schon wieder an den Okularen drehen wollten. Das Bild war scharf.
    Er konnte sehen, wie ihr Brustkorb sich hektisch hob und senkte. Das Keuchen drang nicht bis an seine durch die Gummihaut bedeckten Ohren. Die Frau zog die Knie an und schien erst jetzt zu bemerken, dass sie nackt war. Ihr Mund öffnete sich noch etwas weiter und entließ einen kleinen spitzen Schrei. En verschreckter Waldvogel antwortete ihr, aber sie hörte es nicht. Mit panischem Blick drehte sie den Kopf mehrmals hin und her, richtete sich dann mühsam auf und blieb mit auf die Oberschenkel gestützten Armen stehen. Wahrscheinlich war sie noch benommen. Was keine Beeinträchtigung für ihn sein würde. So würde es ihr noch schwerer fallen, sich zu orientieren. Und außerdem waren sie hier fern
jeglicher Ortschaften. Die Frau konnte, wenn sie es schaffte, stundenlang durch den Wald taumeln, ohne auf andere Menschen zu treffen.
    Er warf einen Stein neben ihre Füße – ein kleiner Spaß – und beobachtete, wie ihr ganzer Körper sich zuckend verkrampfte. Mit irrem Blick versuchten die weitaufgerissenen Augen die Schwärze zu durchdringen. Im Kopf des Mannes rief eine Stimme der Frau zu, sie möge nun endlich davonlaufen. Sein Mund blieb jedoch verschlossen, nur das Blut rauschte in den Ohren.
    Die Frau schien seine stumme Aufforderung wahrgenommen zu haben. Sie richtete sich auf, sah noch einmal an sich herunter, dann nach oben, wo die bleiche Mondsichel über ihr zu lachen schien, und tappte los. Die Arme waagerecht ausgestreckt, setzte sie einen Fuß vor den anderen und stierte dabei mit nach vorn gerecktem Kinn geradeaus.
    Mit einem lautlosen Kichern rief der Mann sich ins Gedächtnis, dass sie im Gegensatz zu ihm nichts sah, während er darauf wartete, dass ihre Fingerspitzen an den ersten Stamm stießen. Während das Wild sich vorsichtig um den Baum herumtastete, erhob er sich, drehte noch einmal an den Okularen und machte sich gemächlich auf, seiner Beute zu folgen.
     
    Zuerst hatte er, um das Gerät zu testen, Liebespaare im Park, am Strand und abseits von Dorffesten beobachtet. Aber das Zucken der weißen Hintern im Mondschein, das stoßende Auf und Ab, meist begleitet von unsäglichem Gestöhn, hatten ihn schnell gelangweilt. Es lief immer gleich ab und entsprach nicht im Mindesten seinen Vorstellungen von einer Jagd.
    Vor ihm taumelte die leuchtende Gestalt ziellos vorwärts. Dies war das wahre Leben: Wild, das orientierungslos umherirrte,
nicht ahnend, was ihm noch alles bevorstand, verfolgt von einem allwissenden Jäger in schwarzem Tarnkleid.
    Der Mann spürte, wie er eine Erektion bekam, und schaute der grünschimmernden Frau hinterher, wie sie durch die Finsternis davonstolperte. Das Wild schluchzte jetzt leise. Er spürte es mehr, als dass er es hörte. Trotz des unebenen Bodens und der stachligen Hindernisse versuchte die Frau, schneller voranzukommen. Ihre Arme wedelten durch die Luft, die Füße hoben und senkten sich hastig. Ab und zu blieben ihre Finger an herabhängenden Ästen oder Blättern hängen. Dann zuckte der jeweilige Arm zurück, als habe die Haut etwas Heißes berührt, und sie hielt kurz inne.
    Von Zeit zu Zeit blieb die Frau stehen, und dann wartete auch er, um sie nicht durch Geräusche auf sich aufmerksam zu machen. Das Wild drehte dabei den Kopf in alle Richtungen, als wolle es Witterung aufnehmen. Das Weiß ihrer weit geöffneten Augen pulsierte regelrecht im Licht der Infrarotlampe.
    Kurz darauf setzte sie ihre Flucht – oder was sie dafür hielt – fort und schlingerte weiter durch den nachtschwarzen Wald. In beschaulichem Tempo folgte der Jäger. Er musste sich nicht vor unsichtbaren Hindernissen in Acht nehmen. Das Dickicht war für ihn gut erleuchtet.
    Doch auch die Frau machte ihre Sache insgesamt nicht schlecht. Und es war viel aufregender, als er es sich je erträumt hatte. Der Mann spürte, wie die Innenhaut seines Anzugs allmählich schweißfeucht wurde. Überall.
    Während er noch darüber nachdachte, wie lange er dem Wild eigentlich die Hoffnung auf ein Entkommen lassen sollte, wie lange sein fiebriger Geist es noch aushalten konnte, auf die Bescherung zu warten, auf die kommenden Genüsse, blieb die Frau mit der Fußspitze an einer Wurzel hängen,
hampelte einen Augenblick lang wild mit den Armen und fiel dann auf die Knie. Er verkniff sich ein Kichern, machte zwei schnelle Schritte und ging neben ihr in die Hocke.
    Dann berührte er ihre Schulter und sagte leise: »Wohin des Wegs,

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