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Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Titel: Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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sinnlichen Praxis zurückkehren wollte.

Ältere Frauen sind dankbar
    Hannah war an meiner Seite. Aber nicht zu nah. Wir hätten auch als zwei Einzelpersonen durchgehen können, jedenfalls hier, meinen Eltern gegenüber, denen diese erwachsene Frau unbekannt und unerklärlich war. Höflich fragend sahen sie mich an, der ich die Rolle dieser Frau auch nicht richtig erklären konnte.
    Der Lärm um uns herum wirkte entlastend, das farbenreiche Geschiebe, das Drängeln um Plätze, der alle Bedenken übertönende Tumult der rufenden, schnatternden Freizeitler, Biertrinker, Würstchenesser, der Sonnencreme und Deo ausdünstenden Leiber nebst den verdatterten Hunden und verwirrten Kindern, denen das Eis auf den Asphalt tropfte.
    »Hier ist ja irre was los«, trug ich zur Aufklärung bei. »Ich bin die Mutter«, griff Hannah ein. »Die Mutter von ...«
    Ach ja! Das war die Rettung! Es war die denkbar harmloseste Art der Vorstellung. Was für ein erlösender Einfall! Sie war die Mutter, die Mutter meiner Freundin! Ich hätte es so nicht auszudrücken gewagt. Sie hätte mir später vorgeworfen: Du stehst nicht zu mir. Was für eine Erleichterung, dass sie es selbst sagte! Meine Freundin war den Eltern noch bestens in Erinnerung.
    »Das ist ja nett«, freute sich meine Mutter beim kurzen Händedruck. »Schön, dass wir Sie mal kennenlernen. Ja, und?« Sie sah sich nach meiner Freundin um. »Wo ist sie denn?«
    »Wir suchen sie gerade«, behauptete ich.
    »Na, dann viel Spaß!«, polterte mein Vater belustigt. »In diesem Gewühl!«
    Und mehr Zeit blieb nicht. Meine Eltern ließen sich an Bord schieben. Einen Sitzplatz würden sie schon nicht mehr ergattern. An der Reling wandten sie sich noch einmal um, weil ihnen die Begegnung im Nachklang doch nicht geheuer war. Hannah und ich winkten, ich energischer als sie, ein Entertainer am Ende der Livesendung. So sahen wir den Einsteigenden nach und winkten noch ein bisschen länger, weil es schmerzlindernd war, einem glücklich beladenen Schiff nachzusehen und seiner Schleppe aus Schaum, vor allem aber, weil uns außer Winken nichts einfiel, um den Raum zu füllen, der sich aufgetan hatte.
    So viel war schon mal klar: Mir war für uns beide an diesem Tag nichts Originelleres in den Sinn gekommen als dieser abgedroschene Familienausflug zu dem traditionellen Gasthof, von dem meine Eltern gerade kamen. Es war spießig. Aber dass ich nun nicht mehr hinwollte, das musste ebenfalls klar sein. Allerdings: Bis zum Ablegen des nächsten Schiffes blieben zwei Stunden.
    »Wir müssen jetzt nicht zu Rieckmann«, bot ich an. »Wenn es da so voll ist.«
    »Können wir aber«, sagte sie in jäher Müdigkeit. »Oder treffen wir dann weitere Verwandte von dir?«
    Ich brachte ein kehliges Lachen hervor.
    »Was, meinst du, werden deine Eltern denken?«, forschte sie.
    »Dass wir deine Tochter suchen. Dass du die Mutter bist. Wie du gesagt hast.«
    »Das nehmen sie uns ab?«
    »Aber unter Garantie!«, trompetete ich so entschieden, dass sich ein paar Leute umdrehten.
    »Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte sie schrecklicherweise. »Etwas in dir wollte hierher. Etwas in dir wusste, dass wir hier deine Eltern treffen würden.«
    »Mein Gott, was für ein Quatsch!«, fuhr ich auf. Ich wollte weder esoterisch gedeutet noch therapiert werden. »Was redest du da? Wozu sollte etwas in mir ausgerechnet das wollen?«
    »Um das Versteckspiel zu beenden. Um dich zu zeigen.« Erst jetzt merkte ich, wie aufgewühlt sie war. »Um dich mit mir zu zeigen.« Sie fügte hinzu: »Bisher stehst du nicht zu mir.«
    Also doch. Dieser Vorwurf musste vom Tisch gefegt werden, sofort. »Natürlich stehe ich zu dir! Meine Eltern waren bloß nicht gerade die Ersten, denen ich von uns erzählen wollte!«
    »Wer wäre denn der Erste?«, bohrte sie. »Und wie wäre die weitere Reihenfolge?«
    Was für ein Ausflug! Ich kniff die Lippen zusammen. Altweibersommer hatte man diese warmen Tage genannt, früher, bis der Ausdruck bußgeldpflichtig wurde. Es gab keine Weiber mehr, schon gar keine alten. Und Hannah war auch nicht alt. Sie war kein Golden Girl. Sie war mädchenhaft, aber das jetzt zu sagen, hätte hohl geklungen, wie Trost am Krankenbett, der ablenken und nur dem Tröster helfen soll.
    Sie war nahe daran, zu weinen. Sommerfrischler beobachteten uns verstohlen. In dieser entspannten Ferienatmosphäre spürten sie die niedergehaltene Heftigkeit hier am weißen Geländer des Anlegers, von dessen Handlaufder Anstrich abblätterte.

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