Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze
machen«, erfand ich. »Und da dachte ich an ein paar alte Schulfreunde. Auch aus anderen Klassen. Was so aus ihnen geworden ist.«
»Sie haben drei Töchter«, sagte Hannah. »Soweit ich weiß, ist keine davon auf deine Schule gegangen. Mich haben sie nie sonderlich interessiert. Die jüngste ist mit einem Dealer auf und davon, das hat sich herumgesprochen.
Aber ich habe nicht viel davon mitbekommen. Weißt du etwas?«
»Mit einem Dealer auf und davon?«, fragte ich so ungläubig wie möglich. Ein Dealer war Jakob ja eigentlich nicht, eher ein geschädigter Endkunde, ein Fall für die Verbraucherschützer, die man im Frühstücksfernsehen anrufen konnte. Doch Hannah zu widersprechen war fehl am Platz.
»Warum interessiert dich das?«, forschte sie.
»Nein, nein, das interessiert mich nicht, ich muss da was verwechselt haben«, beschwichtigte ich. »Ich meine wohl eine andere Familie.«
»Du meinst sie«, bestimmte sie. »Und ich kann dir noch erzählen, dass diese jüngste Tochter den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen hat oder umgekehrt. Keiner weiß was von ihr. Mein Großvater hätte eine rituelle Beerdigung veranstaltet.«
Hannah hatte einen orthodoxen Rabbiner unter ihren Ahnen, auf den sie sich berief, wenn sonst nichts mehr half.
» Rituelle Beerdigung klingt gut«, fand ich. »Wie wird das gemacht? Mit einem echten Sarg?«
»Du willst mir nicht sagen, warum du dich so für das Mädchen interessierst«, stellte Hannah fest. »Ich komme nicht an dich heran. Du verschließt dich. Für mich ist das in Ordnung.«
»Na also.«
»Aber dir geht es nicht gut dabei, das merke ich. Ich will dir keine Probleme einreden. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich jederzeit an mich wenden.«
Ich brauchte Hilfe, ja. Aber ich würde ihr keine Machtzugestehen. Eine Rückkehr, die wie Reue aussah, verbot sich.
»Das ist nett, Hannah. Gut zu wissen. Vielen Dank.« Dann doch lieber eine rituelle Beerdigung.
Rettende Frauen
In der klassischen Legende von der Jungfrau und dem Teufel ist der Böse ein edler Ritter, hochgewachsen, kraftvoll und lässig, hübsch anzusehen und ausgestattet mit langem Schwert. Sein Verhängnis ist nur an der höllischen Schönheit seines Körpers zu erkennen und am Zug des Unfriedens in seinem Gesicht.
Frauen mögen diesen Zug. Er weckt ihr Mitgefühl und ihre Neugier. Das ist ein Bad Boy. Ein Mann für besondere Fälle. Zuerst wollen sie ihn genießen. Dann heilen. Umgekehrt funktioniert es nicht.
In den Bildern, die ich mit Josephine in Gotha betrachtete, war der schwarze Ritter meist noch mit Teufelshörnern ausgestattet, mit winzigen zwar, doch sie waren deutlich genug, um arglose Betrachterinnen der Bilder zu warnen – ganz im Sinne ihrer braven Männer.
Die liebreizenden Frauen auf den Bildern selbst hingegen schienen das Zeichen nicht zu bemerken. Oder sie übersahen es gern. Das Finstere zog sie an. Es zieht immer.
In der Version, die Gottfried Keller von der klassischen Legende erzählt, greift der charismatische Dunkle nach der Hand einer makellosen Jungfrau. Er ist exakt der Rebell, der Outlaw, die verlorene Seele, der eine wohlerzogene Retterin nicht zu widerstehen vermag. Sie hält ihn für einen Idealisten, der von der Welt enttäuscht wurde, für den letzten wahren Romantiker.
Und tatsächlich. »Ich bin der ewig Einsame«, seufzt erbei Gottfried Keller. »Ich bin der, der aus dem Himmel gestürzt ist. Nur die Liebe einer guten Frau gibt mir Kraft, den Untergang zu tragen. Sei mit mir zu zweit.«
Gute Idee! Die Jungfrau, des guten Ausgangs gewiss, lässt sich von ihm entführen. Sie erlebt einen berauschenden Ritt. Schleier und Gewand flattern fort, als die beiden sich miteinander im Sattel wiegen. Das Bewusstsein vergeht ihr beinahe, doch jeden Gipfel genießt sie und jedes Tal, jeden Strom und den sausenden Sturm, die Wellen, den Schaum, schließlich den Gesang der Nachtigallen und die rosig duftenden Wolken des Nachklangs.
Als sie sich ganz aufs Land des faunischen Helden einlässt, entsprießen wie in einem psychedelischen Trickfilm bei jedem ihrer Schritte Rosengärten und Brunnen und helle Sterne, und Nymphen tanzen, und das Wasser selbst macht Musik, und die Sanftmütige erlebt alle Süßigkeiten einer ewigen Mainacht. Keller erzählt es so. Es klingt ein bisschen, als hätte er die Erfindung seines Eidgenossen Albert Hofmann schon ein halbes Jahrhundert vor der Markteinführung genossen: Lysergsäurediäthylamid.
Auch den Kater danach verschweigt er nicht.
Weitere Kostenlose Bücher