Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze
Exerzitienhaus, an der Klosterbuchhandlung mit den Ikonen und den heilsamen Büchern und den guten Nachrichten aus dem Benediktiner-Orden.
Seine Nachricht war nicht gut im Sinne des Ordens. An der Klosterpforte bat er um eine Unterredung unter vier Augen. Er musste dem Abt den Grund für die Gewichtszunahme der Haushälterin erläutern. Er tat es aufrichtig. Er machte sich nicht die Mühe, den Fall als wundersame Neuauflage der unbefleckten Empfängnis darzustellen. Vom Glauben daran war man kirchenintern schon vor Jahrhunderten abgerückt, wenn nicht vor zwei Jahrtausenden.
Die Klöster haben Verständnis für ungleiche Paarungen dieser Art, sofern sie nicht allzu lange währen. Der Priestermönch hätte der Frau entsagen, das Meditationshaus schließen, jedoch nicht das Kloster verlassen müssen. Der Orden wäre für den Unterhalt aufgekommen und hätte den Vater einbehalten.
Womöglich mit einer damals noch unvorstellbaren Folge. Zwanzig Jahre später hätte sich ein junger Mann an das große Kruzifix vor der Klostermauer gekettet, an jenes Balkenkreuz zwischen Pfingstrosen und Flieder mit der eigentümlichen Logelei unterm Wetterdach: Hat je dich einer mehr geliebt als ich, darfst du ihn lieben mehr als mich .
Das Kreuz steht an der Biegung des Schotterweges, den unvermeidlich jeder hinaufpilgern muss, der zur Messe möchte oder nur die Abteikirche besichtigen will. Der Platz ist also klug gewählt. Jeder muss den angekettetenjungen Mann sehen. Noch dazu die beiden selbstgemalten Schilder zu seiner Linken und Rechten: »Auch wir sind Kinder Gottes« und »Menschenrechte für Priesterkinder«.
Zuerst fotografiert ihn nur ein verbündeter Freund, der frei für die Schwäbische Zeitung in Sigmaringen arbeitet. Dann entdeckt ein regionaler Sender das Thema. Aha, der junge Mann befindet sich im Hungerstreik. Eine Website hat er auch! Siehe da, sein Beuroner Tagebuch stellt er per Netbook online, sogar mit täglichen Updates. Reporter wollen das live sehen.
Seine Mutter, das rosige Schwarzwaldmädel von einst, nun hochrot und geplustert, schildert vor Kameras jeglicher Herkunft, wie sie einst zur Unterschrift unter ein Schweigegelöbnis gepresst wurde und warum sie es jetzt an der Zeit finde – und zwar dringend! –, dieses verlogene Gelöbnis zu brechen. Wenig später wird sie durch die Talkshows geschleust. Sie sammelt Geld und Mitgefühl. Wo immer man zuhört, wiederholt sie, dass zu den verbrieften Menschenrechten auch der Kontakt zum Vater gehöre, das Erbrecht übrigens ebenfalls. Professionelle Empörer übernehmen den Fall, richten einen Krisenticker ein, bloggen sich in Stimmung und klagen die Kirche an.
Irgendwann muss ein päpstlicher Sprecher auf Radio Vatikan Stellung nehmen. Was er sagt, klingt nach Zugeständnis. Jedes Kind, erklärt er (»aber wir reagieren nicht auf Druck«), habe das Recht auf einen Vater. Auf einen Vater, der mit Gott und dem eigenen Gewissen im Reinen sei. Wenn also ein Pater ein Kind habe, solle er nicht nur für die Gemeinde den Vater spielen, sondern auch für dieses sein fleischliches Kind. Verheiratete Priester werde es deshalb nicht geben, fügt der Sprecher hinzu. Doch dieVersetzung von Priestern in den Laienstand solle erleichtert werden.
Wie aufgescheucht von diesem Signal kreisen am folgenden Tag die Bussarde über dem Tal. Die Donau strömt sprudelnder dahin. Die Bäume auf den Obstwiesen blühen um einiges strahlender, die umgebrochene Erde glänzt fett. Fahrräder von Neugierigen rumpeln über die schindelgedeckte Holzbrücke. Man schlürft Eiscafé an den weißen Blechtischen unter den Sonnenschirmen des Pelikan . Geranienkästen leuchten von den Fensterbänken. Dem Imbisswagen am überfüllten Pilgerparkplatz geht die Currywurst aus; selten wurde so guter Umsatz gemacht wie an diesem Festtag des Hungerstreiks.
Am frühen Nachmittag dieses Tages wandelt ein Priestermönch mit schütterem Haar durch die Abteikirche, ergraut, leicht gebeugt, doch immer noch würdevoll, tastet sich ein wenig unsicher die Treppe hinunter, überquert unter Getuschel und Blicken den gepflasterten Vorplatz, schreitet am Devotionalienladen vorbei, nun bereits gefolgt von einer raunenden Menge, müht sich den Kiesweg hinunter zu jener Mauerbiegung voller Pfingstrosen und Flieder und dem mittlerweile berühmten Kruzifix und bleibt stehen vor dem zusammengesunkenen Jüngling.
Der Mann im schwarzen Ordensgewand sagt: »Erhebe dich, mein Junge. Gott segne dich. Ich bin dein Vater.
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