Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
I.
Syrien. Die Ruinen von Kuneitra auf den Golanhöhen. Im Hintergrund die Grenztürme zu Israel
»Der Heilige Vater straft mich Lügen«, krächzt der Reporter ins Mikrophon, das unter der Last des ohrenbetäubenden Jubels um ihn herum Aussetzer produziert. »Sah er noch vor ein paar Minuten bemitleidenswert krank und hilflos aus, so scheint es nun, als habe er neue Kraft getankt. Wir sehen einen Papst, der alle Widrigkeiten überstanden zu haben scheint und uns alle wieder einmal zum Staunen bringt. So wie er jetzt die Wasserkanne entgegennimmt, um den vor ihm platzierten Olivenbaum zu gießen. Dieses Symbol des Miteinanders der Völker in ganz Nahost hat er gut gewählt, gerade im Hinblick auf die tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern in den vergangenen Tagen …«
Der Reporter stockt. Etwas stimmt nicht.
»… sein linker Arm zittert unkontrolliert … die Wasserkanne entgleitet ihm … der Papst verliert das Gleichgewicht, wird gerade noch von seinem Begleiter aufgefangen … jetzt sackt er zu Boden … die Menge stürzt auf die Absperrung zu … Sicherheitsleute gehen dazwischen, sie haben alle Mühe, die Lage unter Kontrolle zu halten … der Papst bewegt sich nicht mehr … einer seiner Begleiter öffnet ihm die Soutane … legt das Ohr auf seine Brust … setzt beide Hände auf … drückt, lässt nach, drückt, lässt nach … immer und immer wieder.«
Eine Schar weißer Friedenstauben steigt auf. In einem langen Bogen ziehen sie an den israelischen Grenztürmen vorbei und verschwinden am Horizont des Heiligen Landes.
Würzburg. Eine Woche später. Kurz vor der Sensation.
Mit einem Schlag war alles anders.
Der schwere Hammer verfehlte den tragenden Bolzen, glitt am Stahlrohr ab und krachte mit voller Wucht gegen die poröse Wand des Kilianshauses. Ein unbedeutend scheinender kleiner Stein, der über Jahre alles zusammengehalten und die Geschichte verborgen hatte, brach, bröselte und wurde schließlich mit tonnenschwerer Wucht in die Freiheit gesprengt. Ihm folgte unter Donner und Geschrei die südliche Fassade des Kilianshauses, als hätte der heilige Bonifaz die Donareiche nochmals gefällt.
Verletzt wurde niemand. Der Bauarbeiter, der den Schlag führte, hing baumelnd, mit einer Hand das Stahlrohr und mit der anderen das Corpus Delicti umklammernd, leichenblass im feingliedrigen Gestänge der nun herrenlosen Verschalung und blickte ungläubig auf sein Werk. Er wurde nach seinem Advent der Reihe nach vom Vorarbeiter bis zum Hilfsarbeiter ein Stockwerk tiefer zum Teufel befohlen; auf dass er auf ewig dort schmoren möge.
Was blieb, war ein zuvor noch nicht da gewesener Zugang zu ebenjenem Höllenschlund, um den sich die herbeieilenden Bauarbeiter versammelten und ratlos in die schwarze Tiefe blickten.
»Hundsverreck«, sagte einer, »sou a Louch!«
»Fluch net«, ein anderer, »du stässt auf heilichem Bodn. Aber a Louch is scho. Und glei’ was für ens.«
Eine Baulampe erhellte bald den Blick auf eine Katakombe. Der Bischof und sein Bauund Kunstreferent Dr. Mayfarth wurden umgehend hinzugerufen. Sie zeigten sich weniger von der Nachricht überrascht, dass Verschönerungsverein, Architekten und Alt-Würzburger es ja schon immer gewusst hatten und jetzt diese ruchlose Umbauerei des ehrwürdigen Hauses lauthals beklagten. Nein, es war viel mehr die Neugier über die Entdekkung einer Gruft, von deren Existenz bei den vorangegangenen Grabungsarbeiten des Landesamtes für Denkmalpflege niemand etwas ahnen konnte.
Die erste Inspektion dieser drei mal drei Meter großen unterirdischen Grablege sorgte für erstaunte Ratlosigkeit. Außer einem knapp zwei Meter langen und einem Meter breiten Sarkophag inmitten des kahlen Raumes gab es nichts zu sehen. Keine Grabbeigaben, keine Waffen, keine Vorratskrüge und kein Pferdeskelett für die jenseitige Jagd mit Wotan. Vor allem aber, und das war das Verblüffende, gab es weder Zugang noch Ausgang zu dieser unterirdischen Ruhestätte aus massivem Stein. Es schien, als wäre hier ein für den letzten aller Tage bestimmter und von der Außenwelt luftund wasserdicht abgeschirmter Raum geschaffen worden.
Doch für wen?, fragten sich die Archäologen und der Bischof. Wer war so wichtig, dass man ihn gegen alle möglichen Eindringversuche von außen schützen musste? Oder: Was war so gefährlich, dass man die Welt davor zu bewahren suchte?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Alle Bauarbeiten wurden sofort eingestellt und
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