Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze
Männer sich einfach erholen.«
»Ha!«, machte die Lehrerin und verstummte sogleich, weil der Ton etwas schrill herausgefahren war. Und weildie Antwort nicht einfach nur unverschämt, sondern möglicherweise doppelbödig war.
»Aber das sind Gedanken«, fuhr er mit festerer Stimme fort. »Und Gedanken lassen wir jetzt einfach vorüberziehen. Wir achten nicht auf ihren Inhalt. Gedanken sind vergänglich. Sie tauchen auf und verschwinden. Wir können zusehen, wie sie durch den Raum des Gewahrseins treiben. Der Raum bleibt. Wir sind dieser Raum: leer und unbeweglich, wach und entspannt.«
Die Lehrerin staunte ihn an mit der Botschaft: Na warte, mein Lieber, so einfach kommst du mir nicht davon! Und sie sollte auch recht behalten.
Doch in diesem Augenblick zog jeder sich zurück in seine eigene unsichtbare Klause, in jenes stets verfügbare Zölibat hinter dem Türschild: Muss mich um Höheres kümmern. Dass es ein vorwiegend von Männern genutztes Zölibat war, durchschaute sie zweifellos.
»Die kommt immer, wenn es Frühling wird«, erzählte uns später die großmütterliche Wirtschafterin. »Sie ist seit Jahren verliebt in den Pater.«
»Sie ist gerade über dreißig und er fast siebzig!« »Tja, die Liebe!« Sie konnte es nicht ändern.
Doch die Lehrerin war keineswegs fertig. Sie hatte handfeste Munition mitgebracht. Am folgenden Tag rückte sie damit heraus. Das Material erschütterte die ganze Runde und diesmal auch unseren buddhafreundlichen Pater. Nur Björn und mich stimmte es glücklich, allerdings durften wir das nicht zeigen.
Es war der Bericht einer jungen Schottin, die als Zwanzigjährige für Tibet entflammt war, die dann die Kultur studiert,die Sprache erlernt hatte und schließlich nach Nordindien gereist war, um, wie es im Buddhismus heißt, Zuflucht zu suchen bei einem verehrungswürdigen Lama namens Kalu Rinpoche.
Dieser Kalu war Leiter eines strengen mönchischen Ordens, ein verehrter Asket, unübertroffen in der Kenntnis der Schriften, ein Weiser, ein leuchtender Guru. Als er im Boom der westlichen Buddhismus-Begeisterung nach Europa und Amerika ein geladen wurde und allenthalben Retreat-Zentren gründete, reiste die schottische Doktorandin mit. Als seine Dolmetscherin. Und eben nicht nur als das. So viel ging überdeutlich hervor aus der Lektüre des Buches und aus einem mehrfach kopierten Interview.
Vorstellungen, Mitteilungen, Kommentare. Streng genommen handelte es sich nur um Gedanken. Man konnte sie in wachsamem Desinteresse vorbeiziehen lassen und im Raum des Gewahrseins bleiben. Wenn man konnte. Bei den ungeübten Retreat-Teilnehmerinnen funktionierte das nun nicht länger. Der versprochene innere Frieden stand auf dem Spiel. Irgendwo ganz tief innen oder unten musste er noch sein. Spürbar war jetzt nur seine Bedrohung. Sie ging von diesen Berichten aus. Und die Fragestunden, die für den Austausch über die Stille vorgesehen waren, kehrten weitere schmerzliche Tatsachen nach oben.
Es zeigte sich, dass wir alle den Buddhismus für die bessere Alternative gehalten hatten. Für die Essenz aller Religionen, auch des Christentums. Der Buddhismus hatte dem spirituellen Reinheitsgebot mehr entsprochen als die verderbte Kirche. Scheinbar. Alle hatten den Dalai-Lama für verehrungswürdiger gehalten als den Papst. Niemandem war an der Kenntnis gelegen, dass es auch in dertibetischen Tradition eine rüde patriarchalische Struktur gab; sie war dort nur niemals in Frage gestellt worden. Und die Geschichte der Dalai-Lamas strotzte von wüsten Kämpfen, die staunenswerte Parallelen hergaben zur Geschichte der Päpste. Niemand von uns, erwies sich nun, hatte den ganzen Buddhismus gewollt. Wir hatten den Rahm abschöpfen wollen, den Frieden vor allem, das Mitgefühl und die wohltuende Auflösung des Ich im All- Einen.
Nun offenbarte diese Schottin, sie hieß June Campbell, wie sie unter Androhung harter Sanktionen zum Schweigen genötigt worden war. Wie ihr im mönchischen Orden sexuelle Praktiken abverlangt worden waren unter dem Motto »Das ist gut für deine Erleuchtung« oder »Das hilft bei deiner nächsten Inkarnation«. Und sie war keineswegs die Einzige gewesen. Die Lamas – welcher aufrichtige Chauvinist könnte es ihnen verdenken? – hatten den Enthusiasmus und die Hingabebereitschaft westlicher Schülerinnen dankbar genutzt. Selbst von Sogyal Rinpoche, dem Freund des Hauses, dessen Tibetisches Buch vom Leben und vom Sterben wir alle beseelt gelesen hatten, kam nun heraus,
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