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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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Erstes Kapitel
    Bristol, Rhode Island – April 1890.
    Emma Tremayne empfand die neugierigen Blicke wie Schläge auf die nackte Haut. Sie
war so schüchtern, daß es ihr Folterqualen bereitete, wenn man sie nur ansah.
Eigentlich hätte sie daran gewöhnt sein sollen, schließlich war sie eine
Tremayne, eine der eigenwilligen, leidenschaftlichen und unsagbar reichen
Tremaynes. Und sie war schön – das hatte man ihr zumindest schon immer
versichert.
    Emma hatte
gesellschaftliche Anlässe nie gemocht, aber sie kannte ihre Pflichten und
versuchte im allgemeinen, sie zu erfüllen. Sie nahm an dieser letzten Fuchsjagd
der Saison teil, weil es ein traditionelles Ereignis der guten Gesellschaft
von Bristol war, und die Tremaynes pflegten alle Traditionen der guten
Gesellschaft gewissenhaft.
    »Du bist jetzt unsere letzte
Hoffnung«, hatte ihre Mutter noch an diesem Morgen zu ihr gesagt.
    Deshalb
war sie hier, für Mama und für die Famlie. Deshalb und weil die Jagd ihr Spaß
machte, das heißt eigentlich nicht die Jagd an sich, sondern vielmehr das
Reiten. Es war für sie wie eine Befreiung, im vollen Galopp über die gepflügten
Felder, durch das hohe Gras und durch Birken- und Kiefernwälder zu fliegen.
Wenn sie tief über den Pferdehals gebeugt über Mauern und Hecken setzte und
sich dem Augenblick ganz überließ, in dem das Pferd vom Boden abhob und sie die
Schwerelosigkeit voll von wunderbarer Freiheit spüren konnte. Im Augenblick
aber stand sie auf der Veranda des Farmhauses ihres Cousins. Aufmerksam
betrachtete sie die unruhigen Pferde, die kläffenden Hunde, den scharlachroten
Rock des Jagdherrn, die vielen hellen ledernen
Reithosen, die schwarzen Reitkostüme und die schwarzen seidenen Zylinder. Emma
kannte diese Leute schon ihr ganzes Leben. Trotzdem zögerte sie, hinunter auf
den Vorplatz zu gehen und sich zu ihnen zu gesellen. Aber bei dem Gedanken an
den bevorstehenden wilden Ritt erfaßte sie eine Woge der Erregung und das
Gefühl unbändiger Lust.
    Emma
entdeckte die Brüder Alcott am anderen Ende des Platzes, nahe dem Tor. Sie
saßen jeder auf einem hellbraunen Wallach. Emma hatte vergessen, wie ähnlich
sie sich sahen. Beide hatten lange schmale Gesichter, die gleiche spitze Nasen
und dichte hellbraune Haare. Geoffrey saß betont aufrecht, aber locker im
Sattel und wirkte sehr vornehm mit seinem schwarzen Zylinder und der ordentlich
gebundenen weißen Halsbinde. Stuart dagegen saß lässig auf dem tänzelnden
Wallach. Er wirkte zugleich elegant und dekadent, aber das war schon immer
seine Art gewesen. Er war seit mehr als sieben Jahren zum ersten Mal wieder zu
Hause, und Emma freute sich sehr, ihn wiederzusehen. Am liebsten hätte sie bei
seinem Anblick den Rock gehoben, wäre über den Platz gelaufen und hätte laut
seinen Namen gerufen. Vor sieben Jahren hätte sie so etwas vielleicht getan, selbst
wenn wie heute alle dabei gewesen wären, aber jetzt schickte sich das wohl kaum
noch für sie.
    Nein, auch
als Kind hätte sie das nicht getan. Ein so natürliches Verhalten kannte nur die
»andere« Emma. Die Emma Tremayne ihrer Träume war immer sehr viel mutiger und
beherzter.
    Geoffrey
hob die Hand zum Gruß, und sie lächelte, ohne jedoch selbst zu winken. Sie
hatte Geoffrey Alcott erst vor zwei Tagen, am Mittwoch, gesehen. Alle Welt,
zumindest ganz Bristol, hielt ihn für ihren Verehrer, für den Mann, den sie
heiraten würde. Nur daß er bis jetzt noch nicht um ihre Hand angehalten hatte.
    Sie hatten
beim Weihnachtsball zweimal miteinander getanzt. Um Mitternacht hatte er ihr
den Arm gereicht und war mit ihr auf die Terrasse hinausgetreten, um, wie er
sagte, die Sterne zu betrachten. Als Emma die Hand auf das Geländer legte,
hatte er seine Hand auf ihre gelegt, und Emma glaubte, durch die seidenen
Handschuhe hindurch die Wärme seiner Haut zu spüren. Der weiße Atem umhüllte
ihre Gesichter wie zarte Schleier, und sie sahen
sich lange an – nicht zu den Sternen hinauf. Damals hatte sie gedacht, er werde
um ihre Hand anhalten, doch er hatte es nicht getan. Später wußte sie nicht
genau, ob sie darüber enttäuscht oder erleichtert war.
    Geoffrey
musterte sie jetzt mit gerunzelter Stirn und schmalen Lippen. Emma fragte sich
leicht beunruhigt, was sie sich an diesem Morgen bereits hatte zuschulden
kommen lassen, um seine so offensichtliche Mißbilligung zu erregen.
    Sie griff nach der schweren
Schleppe des schwarzen Rocks ihres Reitkostüms und trat hinaus auf den
Vorplatz. Ein Mann in einer

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