Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
MORGENRÖTE DER HORRORERZÄHLUNG
Wie natürlich erwartet werden darf von einer Form, die so eng verbunden ist mit Urgefühlen, ist die Horrorerzählung so alt wie das menschliche Denken und Sprechen.
Kosmischer Terror erscheint als Bestandteil der frühesten Folklore aller Rassen, und in den archaischsten Balladen, Chroniken und heiligen Schriften hat er sich herauskristallisiert. Er gehörte in der Tat zu den wesentlichen Merkmalen der großartigen magischen Zeremonien mit ihren Riten zum Heraufbeschwören von Dämonen und Geistererscheinungen, wie sie seit prähistorischen Zeiten gang und gäbe waren und ihre höchste Entwicklung in Ägypten und bei den semitischen Völkern fanden. Apokryphe Fragmente wie das Buch Enoch und die Claviculae des Salomon illustrieren sehr gut die Macht, die das Unheimliche über den Geist des alten Orients ausübte; und auf derartige Dinge gründeten sich dauerhafte Systeme und Traditionen, deren Echos verstohlen gar bis in die Gegenwart widerhallen. Züge dieser transzendenten Angst lassen sich in der klassischen Literatur erkennen, doch noch stärkeren Niederschlag haben sie in der Balladenliteratur gefunden, die parallel lief zum Strom der Klassik, dann aber verschwand, da es an der Form schriftlicher Aufzeichnung fehlte. Das Mittelalter, in phantastische Dunkelheit getaucht, gab dem Ausdruck dieser Angst ungeheuren Auftrieb, und Ost und West waren gleichermaßen eifrig bei der Arbeit, das dunkle Erbe zu wahren und zu mehren, das ihnen in der unsystematischen Form der Folklore wie auch als akademisch ausformulierte Magie und Kabbalismus überliefert worden war. Hexe, Werwolf, Vampir und Ghul, der leichenfressende Dämon, heckten sich unheil-schwanger auf den Lippen des Barden und der Ahnin und bedurften nur geringer Ermutigung, um den letzten Schritt über jene Grenzlinie zu machen, die den epischen Gesang oder das Lied von der eigentlichen literarischen Komposition trennt. Im Orient neigte die unheimliche Erzählung dazu, ein prunkvolles Kolorit und eine prächtige Frische anzunehmen, die sie fast in reine Phantasie verwandelten. Im Abendland, wo der mystische Teutone aus seinen schwarzen borealen Wäldern hervorgekommen war und der Kelte sich seltsamer Opfer in druidischen Höhlen erinnerte, nahm sie eine schreckliche Intensität und eine überzeugende Ernsthaftigkeit der Atmosphäre an, die die Stärke ihres halbausgesprochenen, halbangedeuteten Grauens noch verdoppelte.
Das abendländische Wissen um das Grauen verdankte zweifellos viel von seiner Macht der verborgenen, doch oft geahnten Existenz eines abscheulichen Kultes nächtlicher Anbetung; die absonderlichen Sitten der Anbeter - überliefert aus prä-arischen und prä-agrarischen Zeiten, als eine gedrungene Rasse von Mongoloiden mit ihren Herden und Horden Europa überflutete - wurzelte in den widerlichsten Fruchtbarkeitsriten des unvordenklichen Altertums. Diese Geheimreligion, seit Tausenden von Jahren unter der Landbevölkerung überliefert, trotzdem in den betreffenden Gebieten rein äußerlich die druidischen, griechischrömischen und christlichen Religionen herrschten, war gekennzeichnet von wilden »Hexensabbaten« in abgelegenen Wäldern und auf den Gipfeln ferner Berge in der Walpurgisnacht oder am Vorabend von Allerheiligen, den herkömmlichen Paarungszeiten der Ziegen, der Schafe und des Viehs; sie wurde nicht nur zur Quelle eines reichen Schatzes an Hexerei-Legenden, sondern verursachte auch die ausgedehnten Hexen Verfolgungen, von denen das wichtigste amerikanische Beispiel die Ereignisse von Salem sind. Wesensverwandt oder vielleicht auch in Wirklichkeit damit verbunden war jenes entsetzliche Geheimsystem einer umgekehrten Theologie oder Satansanbetung, das solche Grauen wie die berühmte »Schwarze Messe« hervorbrachte. Und da sie in dieselbe Richtung wirkten, können wir auch die Aktivitäten jener nennen, deren Ziele in gewisser Weise wissenschaftlicher oder philosophischer waren - Astrologen, Kabbalisten und Alchemisten vom Typus eines Albertus Magnus oder Raimundus Lullus, die es in solchen rohen Zeitaltern unweigerlich zuhauf gibt. Die tiefe und weitreichende Durchdringung Europas mit dem mittelalterlichen Geist des Grauens, verstärkt noch durch die düstere Verzweiflung, die von den Wogen der Pestilenz herrührte, lässt sich ziemlich gut ablesen an den grotesken Plastiken, die vielen der schönsten gotischen Kirchenbauten beigegeben wurden; die dämonischen Wasserspeier von Notre-Dame und Mont St.
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