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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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und hatte mehr Oberweite als die schmale Richterin. Aber es war nicht sehr auffällig, und Ruth versenkte ihre kaffeegetränkte Viskosebluse noch vor Ort in den Müll.
    »Vielen Dank, Sie haben mich gerettet«, sagte sie zu Veronika Karst, die vor der Tür bereits auf sie gewartet hatte und sich nun sportlichen Schrittes wieder auf den Weg durch das Gerichtslabyrinth machte.
    »Gerne. Und auf die Art haben wir uns wenigstens die Beine vertreten«, antwortete die Richterin. Über die Schulter fragte sie Ruth: »Wie haben Sie sich bei uns eingelebt? Ganz gut, scheint mir.«
    »Na ja, eingelebt … Ich fange langsam an, mich zurechtzufinden«, gestand Ruth. »Trotzdem ist für mich immer wieder alles neu. Manchmal bin ich verunsichert, vor allem über die Verfahrensweise in so einer Gerichtsverhandlung. Also, ob ich mich jemals traue, einen Zeugen zu befragen – ich glaube nicht. Vielleicht nach fünf Jahren Schöffenzeit.«
    Die Karst lachte. »Manche tun es nie. Dabei ist es wichtig. Ich finde, Sie schlagen sich gut. Haben eine eigene Meinung und vertreten die auch. Sie interessieren sich.«
    Ruth ging jetzt neben der Frau in Robe und versuchte, mit ihr Schritt zu halten. »Das ist doch Aufgabe der Schöffen.«
    Die Karst seufzte. »Schon. Aber Menschen, die nicht freiwillig in dieses Ehrenamt kommen, bringen dieses Interesse leider nur selten auf.«
    Ruth schwieg. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand unbeteiligt einem Mordprozess beiwohnen konnte. Sie war davon so absorbiert, von der ersten Minute an, dass ihr die Vorstellung, ein anderer Mensch säße in so einem Prozess nur seine Zeit ab, unmöglich schien. Sie selbst spürte die Last der Verantwortung schwer auf sich.
    »Ich bewundere Sie«, platzte sie heraus, »wie Sie das schaffen. Solche Prozesse. Das geht doch an die Nieren.«
    Die Richterin verlangsamte ihren Gang nun etwas. »Ja«, räumte sie ein, »das tut es. Es ist sehr oft sehr schwer. Aber nicht jeder Fall ist so vertrackt wie dieser. Und so grausam. Manchmal liegen die Fakten sehr klar auf dem Tisch. Und dann ist es ein gutes Gefühl, mit einem sicheren Urteil Recht sprechen zu können.« Sie erreichten nun den blau gekachelten Quergang mit den Jugendstilornamenten, der zum großen Treppenhaus und rechter Hand zum Saal 500 führte. Veronika Karst blieb kurz stehen. »Aber heute bin ich auch froh, wenn ich es hinter mir habe. Der schwierige Teil kommt jetzt erst.«
    Als die Richter den Saal gesammelt betraten, sah Ruth, wie Eisenrauch ihr neues Outfit mit hochgezogenen Augenbrauen wahrnahm. Er lächelte. Ruth senkte sofort den Kopf, weil sie befürchtete, rot zu werden.
    Wie Veronika Karst treffend festgestellt hatte, begann jetzt erst der heikle Teil der Befragung von Aras Demizgül.
    Die Richterin erkundigte sich nach dem Verhältnis zu seiner Schwester, das der Angeklagte als sehr harmonisch beschrieb. Das war keine leere Behauptung, denn alle Zeugen – die Freunde von Aras, Valentin, aber auch Deryas Freundinnen – hatten in der Hinsicht dasselbe ausgesagt.
    »Mit dem Lebenswandel Ihrer Schwester hatten Sie kein Problem?«, erkundigte sich die Karst.
    »Was meinen Sie mit Lebenswandel?« Aras’ Gegenfrage hatte einen leicht spöttischen Unterton.
    »Nun«, die Richterin war vorsichtig, »sie lebte sehr westlich. Sie war nicht religiös, sie trug kein Kopftuch, sie nahm sich die Freiheiten, die auch ihre deutschen Freundinnen hatten.«
    Aras lächelte fein. »So wie unsere ganze Familie.«
    Veronika Karst nickte. »Sie kannten Deryas Freund? Valentin Bucherer?«
    Aras Demizgül drehte sich zu dem jungen Mann um. »Klar. Er ist okay.«
    »Ihre Schwester sollte verheiratet werden. Deshalb war die ganze Familie im Juli in …«, sie suchte in ihren Aufzeichnungen, »… Akalin Köyü.«
    »Das ist richtig.«
    »Ihre Schwester war sechzehn. Sie hatte einen gleichaltrigen Freund. Mussten Sie nicht befürchten, dass sie mit ihm Geschlechtsverkehr haben würde?«
    Nun war es am Angeklagten, sich seine Antwort gut zu überlegen. Nach einer Pause sagte er: »Sie hatten sich getrennt. Valentin hat mit ihr nach den Ferien Schluss gemacht.«
    »Bis zu dem Abend«, die Stimme der Richterin gewann an Schärfe, »an dem Abend des 25. August kamen die beiden wieder zusammen. Derya ging sogar zu Valentin Bucherer nach Hause. Mitten in der Nacht.«
    »Das wusste ich aber nicht.«
    »Was wäre aus der Hochzeit geworden, wenn Derya ihre Jungfräulichkeit verloren hätte?«
    Aras Demizgül

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