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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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erkundigte sich Ruth.
    »Hm. Das habe ich den Kollegen Verteidiger auch gefragt, der mir zu verstehen gegeben hat, dass er nicht in der Lage ist, in den Kopf des Angeklagten hineinzusehen.« Die Richterin lächelte fein. »Aber was glauben Sie, Frau Holländer?«
    Für den Bruchteil einer Sekunde schoss Ruth durch den Kopf: Sie weiß es. Sie weiß, dass ich mehr weiß! Aber dann schob sie den Gedanken beiseite. Sie litt langsam unter akutem Verfolgungswahn.
    »Ganz sicher hat es damit zu tun. Ich meine, dieser Zeuge kam doch für alle total überraschend, oder?« Sie blickte in die Runde. Der junge Richter tippte heimlich in sein Smartphone, aber als er ihren Blick auf sich fühlte, legte er es ertappt beiseite und nickte eifrig.
    Ernst Hochtobel, immer noch fahrig und angespannt, mischte sich ein. »Ist der überhaupt glaubhaft, ich meine, dieser Belastungszeuge? Kommt da nach so langer Zeit plötzlich aus der Versenkung. Vielleicht hat den ja auch jemand engagiert, damit er Aras Demizgül belastet. Der richtige Mörder zum Beispiel.«
    Trotz des ernsten Themas konnten die anderen sich ein Schmunzeln nur schwer verkneifen.
    »Sie lesen wohl zu viele Krimis, was?!«, bemerkte der ältere Richter, und Hochtobel zog eine Schnute.
    Veronika Karst griff schlichtend ein. »Natürlich ist so etwas möglich, Herr Hochtobel. Auf der anderen Seite kommt mir das auch etwas, nun ja, konstruiert vor.« Sie erhob sich jetzt. Der Gerichtsdiener hatte den Kopf ins Zimmer gesteckt und der Vorsitzenden Richterin zugenickt. »Aber ich hoffe, wir werden nun mehr über die Motive des Angeklagten erfahren.«
    Damit erhoben sich auch die anderen Richter und betraten nacheinander den Gerichtssaal.
    Aras Demizgül stand, ebenso wie die anderen Anwesenden, und sah den eintretenden Richtern mit festem Blick entgegen. Ruth – und sicher auch die anderen – bemerkte sofort die Veränderung, die mit ihm vonstattengegangen war. Er hatte ein frisches weißes Hemd an, und obwohl er auch bei den anderen Gerichtsterminen stets gepflegt und frisch rasiert erschienen war, wirkte er heute wie … geschrubbt. Ja, das war Ruths erste Assoziation. Aras Demizgül sah richtiggehend rosig aus. Seine Wangen waren weniger blass als sonst, sein Haar, schwarz, dicht und sorgfältig frisiert, glänzte unter dem mehrarmigen Kronleuchter des Saales. Durch das weiße Hemd und den offenen Blick hatte er eine beinahe feierliche Ausstrahlung, und jedermann im Saal ahnte, dass heute etwas geschehen würde, das die Verhandlung einen entscheidenden Schritt weiterbringen würde. Die Mutter von Derya und Aras stand, ohne den Vater, hinter ihrem Sohn, und auch sie war anders gekleidet als sonst. Sie trug ein elegantes Kleid und auffälligen Goldschmuck. Sie hatte sich auffälliger geschminkt und blickte erwartungsvoll auf den Hinterkopf ihres Sohnes. Sie wirkte ernst, gefasst, aber weniger von Trauer umschattet als an den vergangenen Tagen im Gericht.
    Während Ruth Platz nahm, erblickte sie Valentin Bucherer im Zuschauerraum. Er hätte in der Schule sein müssen, aber Ruth verstand sehr wohl, dass er sich die weitere Entwicklung des Verfahrens nicht entgehen lassen wollte. Nicht, nachdem er eine möglicherweise entscheidende Information beigetragen hatte. Er nickte ihr ganz leicht zu und lächelte kurz. Ruth erwiderte dies mit einem Augenaufschlag. Sie musterte den jungen Mann. Auch er hatte sich seit seiner Aussage verändert. War wacher und selbstbewusster geworden. Es schien, als habe er seinen Frieden gemacht mit dem, was passiert war. Wenn so etwas überhaupt möglich war.
    Ruths Blick wanderte wieder zurück zu Frau Demizgül, und sie fragte sich irritiert, wo der Vater von Aras war, an so einem entscheidenden Tag durfte er eigentlich nicht fehlen. Er musste erkrankt sein, anders konnte sie sich seine Abwesenheit nicht erklären.
    Dann kam ihr der Staatsanwalt Hannes Eisenrauch ins Visier, der seinerseits die Richter musterte. Ihre Blicke trafen sich kurz, allzu kurz. Aber dennoch meinte Ruth, ein Zucken in seinen Augenwinkeln wahrgenommen zu haben. Als hätte er versucht, mit den Augen zu lächeln.
    Die Richter und anschließend die im Saal Anwesenden nahmen Platz, und Veronika Karst eröffnete die Verhandlung. Sie setzte alle über den geänderten Ablauf ins Bild und rief den Angeklagten in den Zeugenstand.
    Der junge Mann machte in den nächsten zwei Stunden den denkbar besten Eindruck. Aufs Gericht, aber auch auf die Zuschauer und Journalisten im Saal. Er

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