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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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Mutter?«
    »Die stand im Zimmer, ein Denkmal nicht aus Selbstbeherrschung, sondern aus barbarischem Unvermögen, eine Gefühlsregung zu zeigen.«
    »Und Ludmilla?«
    »Sie zeigte die natürlichste Reaktion. Sie schrie völlig außer sich: >Sie haben ihm den Hof noch nicht überschrieben.< Sie war im siebenten Monat. Es war nicht sie, die schrie, das Kind schrie.« Er fuhr eine Weile schweigend, dann sagte er, als wolle er seine Erzählung damit abschließen: »Die Frauen hassen sich natürlich. Und davon verstehen sie beide was.«
    Ich sagte: »Ich kenne diese menschlichen Spiele, Doktor, und sie langweilen mich.«
    »Ja, es gibt solche Augenblicke«, antwortete er.
    »Es ist kein Augenblick, es ist endgültig.«
    Er lächelte leicht. »Ich erzählte Ihnen vom Haß, der sich gegen andere richtet. Er ist nicht sehr verschieden von dem Haß, den man gegen sich selbst richtet. Ein solcher Haß wirkt merkwürdigerweise moralisch.« Er lächelte noch stärker, und es kam ihm ganz leicht von den Lippen: »Der Selbsthaß ist für mich die stärkste Lebensbindung, die es gibt, die intensivste.« Fast sanft setzte er hinzu: »Wußten Sie das nicht?«
    Er hielt plötzlich. Wir waren mitten im Dorf.
    Ich sah ein Haus, das in solcher Umgebung fast eine gewisse Pracht aufwies. Eine Einfamilienvilla auf dem Lande.
    Doktor Färber stieg aus, sah sein Haus grübelnd an. Dann murmelte er: »Das Garagentor ist halb geschlossen. Das bedeutet, daß ich noch mal weg muß. Kommen Sie doch mit rein.«
    Wir betraten das Haus, das innen von bürgerlicher Behaglichkeit war.
    Er stellte mir seine Frau vor, eine Dame, blond bis in die Fingerspitzen. Noch ein Herr erhob sich aus einem Sessel. »Das ist unser Lehrer«, sagte der Doktor, »ein Pendler zwischen Geist und Weingeist.« Er wandte sich seiner Frau zu, sprach mit ihr, dann sagte er zu mir: »Ich muß leider denselben Weg zurück.«
    »Die Haßgeburt?«
    »Kein Kind wird mit Haß geboren. Haß ist Irrtum«, sagte er ernst.
    Damit verschwand er.
    »Wo hat er Sie aufgegabelt?« fragte der Lehrer.
    »Irgendwo auf der Straße.«
    Der Lehrer lachte: »Er riecht einfach, wenn jemand krank ist.«

2

    Ich hatte mein normales Leben verlassen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich hatte gearbeitet, Erfolg gehabt und meinen Erfolg genossen. Ich hatte getan, was alle Leute getan hatten, aber ich fand auf einmal, daß es nicht befriedigend war. Ich hatte für Äußerlichkeiten gearbeitet, Äußerliches erreicht und fand mich ärmer als je zuvor. Das war das Ergebnis einer sachlichen Feststellung. Häuser, Autos, Teppiche — was immer man an Besitz nehmen will — ist belohnter Fleiß einer großen Anstrengung, aber mehr nicht. Es machte nicht glücklich. Man kann es eine Weile glauben, aber es stimmt nicht.
    Aus diesem Grunde war ich abgefahren und fand mich nun in einer Landgegend, die ich freiwillig und unter anderen Umständen nie aufgesucht hätte.
    Ich hatte einen Mann kennengelernt, der mich sehr beschäftigte, einen einfachen Landarzt, der sich auf diesem Lande wohl zu fühlen schien.
    Wenn ich sage >einfacher Landarzt<, so ist das natürlich eine unrichtige Bezeichnung. Kein Mensch und kein Beruf sind einfach.
    Mir lag wahrscheinlich daran, etwas anderes auszudrücken, was ich deutlich empfand, seine Einfachheit im Sinne von klar, überschaubar, begreifbar.
    Der Doktor war keine vielfarbige, keine schillernde Persönlichkeit, wie Phantasie, Zweifel, Unglaube sie so leicht dazu werden lassen. Er war nicht >interessant<, in einem Sinne, der sich heute so durchgesetzt hat.
    Für mich war er jedoch der interessanteste Mann, den ich kennenlernen konnte, als besäße er ein Geheimnis, hinter das zu kommen für mich sehr wichtig wurde.
    Er hatte ein paar Sachen gesagt, über die ich nachdenken mußte — ob ich wollte oder nicht.
    Er hatte gesagt: »Man kann niemandem mit Worten helfen. Denn Worte überzeugen nur den, der sich überzeugen lassen will. Wenn ich mit meinen Patienten rede, dann nur, um ihnen zu zeigen, daß sie nicht allein sind. Ein Kranker wütet gegen sich selbst am schlimmsten, wenn er sich allein und verlassen vorkommt. Deshalb bin ich sein Freund.«
    Ich überlegte, und es lag nur nahe: War er auch mein Freund? Wußte er, was mich quälte, und wollte er mir sagen, daß ich nicht allein war?
    Im Gastzimmer unten besah ich mir die Landkarte der Gegend, in der ich mich befand.
    Es war eine jener Landgemeinden, die aus mehreren Gründen
    ganz abgelegen war. Die eine Seite

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