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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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deplaciert wie ich.
    Eins fühlte ich undeutlich: Es mußte gedacht werden.
    Obwohl ich ebenso undeutlich wußte: Es wird dir nicht helfen. Denken ist soviel wie sich wehren. Kein Gedanke ist ganz ehrlich, er wird beeinflußt von Wünschen.
    Also wünsche nichts mehr.
    Dennoch wünschte ich mir etwas und bekam es auch, eine Flasche Wacholderschnaps. Ich wollte Whisky, aber offenbar trank man das hier nicht. Nicht mehr, sagte die Wirtin, seitdem die Engländer weg sind.
    Engländer?
    Ja, sie brachten Whisky, Kinder und Schnurrbärte ins Land. Nun waren sie weg, man trank wieder Wacholderschnaps, machte die Kinder selber, und die Schnurrbärte verloren sich. Sie merkte wohl, daß ich wenig Lust hatte, mich zu unterhalten. Sie war versessen darauf, herauszukriegen, wer ich bin und was ich hier will. Ich nahm ihr das Fragezeichen nicht weg. Obwohl deutlich zu spüren war, daß die Tatsache, daß ich eine ganze Flasche Wacholderschnaps bestellte — mit dem offenbaren Wunsche, ihn auch zu trinken — , mich ihr unerhört sympathisch machte.
    Daß wirklich etwas mit mir los war, merkte ich einfach daran, daß ich müde war wie nach einem Achtzig-Kilometer-Marsch. Ich trank die halbe Flasche fast schon im Schlafen und weiß nicht, wann ich aufwachte.
    Aber ich wachte auf und lernte einen Mann kennen, von dem ich noch nicht wußte, was ich ihm einmal verdanken würde.

    Der Mann war etwa fünfundvierzig Jahre alt, saß an meinem Bett und sah mich freundlich an. Im Moment zwischen Aufwachen und völligem Bewußtsein sieht man vielleicht schärfer. Ich empfand sofort, daß es sich um ein ungewöhnliches Gesicht handelte. Als ich hellwach war, empfand ich das nicht mehr. Ein normales Gesicht, etwas länglich, im Pferdeschnitt, braune Augen, die mich ein wenig belustigt ansahen.
    »Pardon«, sagte er, »nehmen Sie es der guten Wirtin nicht übel. Sie verständigte mich, weil sie Sie für krank hielt. Ich bin Arzt.«
    Er stellte sich vor. Er heiße Doktor Färber.
    »Aber ich sehe«, meinte er, »daß Ihnen nichts fehlt, außer, daß Sie betrunken sind.«
    »Dennoch vielen Dank, Doktor«, sagte ich, »schickt man hier immer gleich den Arzt vorbei, wenn einer nicht wie die Bauern um fünf aufsteht?«
    »Gewöhnlich nicht«, lächelte er, »aber Sie fielen auf. Sie waren nicht einzuregistrieren. Sie kaufen keine Kühe, verkaufen keine Dreschmaschinen, Sie sind weder Landvermesser noch Holzhändler, wer sonst soll sich hier verirren?«
    »Das mag sein«, fand ich, »Touristen wohl nicht.«
    »Nein«, lachte er, »Italien liegt näher, wissen Sie.«
    »Es ist die hinterletzte Landgegend, die ich je gesehen habe«, sagte ich und entschuldigte mich gleich, »Verzeihung, Ihre Heimat?«
    Er verzog das Gesicht, ohne das Lächeln aus seinen braunen Augen zu verlieren. »Was ist Heimat?« fragte er zurück. »Ich bin siebzehn Jahre hier, ich kenne Weg und Steg und die meisten Menschen, wie sie innen aussehen. Das ist alles.«
    Er stand auf und nahm seine Tasche aus Kunstleder.
    »Sie sehen also keinen Grund, mich zu behandeln? fragte ich.
    »Alkoholiker sind Sie nicht«, sagte er sachlich, »wenn Sie sich besaufen, ist das Ihre Privatsache. Sie fühlen sich jämmerlich, ohne zu jammern, also sind Sie gesund.«
    Er verabschiedete sich.
    Er ging zur Tür, und ich sah, daß er kräftige Stiefel trug, Wickelgamaschen und eine Pumphose aus Kord. Eitel war er gewiß nicht.
    Ich beschloß, mich zu rasieren und mich der Wirtin zu zeigen.
    Sie war ausnehmend froh, mich zu sehen, brachte mir ein Frühstück, das nicht für einen Magenkranken war, und machte erneute Versuche, ihre Neugier zu befriedigen. Ich sagte, der Arzt habe mir Landluft verordnet. Etwas hinterhältig fügte ich hinzu, man habe mir diesen Gasthof empfohlen.
    Das hielt sie für durchaus verständlich. Der Gasthof bestehe seit einhundert Jahren. Ich unterdrückte die Bemerkung, daß man es ihm durchaus ansähe.
    Ich machte einen langen Spaziergang. Gehen verschafft die Illusion einer Tätigkeit.
    Das Land war noch häßlicher, als ich gedacht hatte. Es war karg und lag da. Es wollte nicht den geringsten Eindruck machen, und das gelang ihm auch. Ein paar Bauern wateten durch die Felder, ohne darauf zu warten, daß Breughel sie malte.
    Sie wandten die Köpfe und sahen mir lange nach. Ein bißchen hatte ich das Gefühl, als gäbe es hier Trommeln, die von Dorf zu Dorf Nachrichten verbreiten. Vielleicht machten sie es auch mit dem Telefon.
    Nun, ich ging mit einer Nutzlosigkeit

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