Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Türöffnung.
Der erste Streit in der neuen Stadt war überstanden und meine Wohnung nun ein Platz, an dem ich bleiben wollte.
Was ich nicht weiß
«Ich hab da mal was geschrieben», sage ich zu Lola. Ich kenne sie, seit ich fünfzehn bin. Lola ist drei Jahre älter als ich, wir sind auf dieselbe Schule gegangen und dann auch auf dieselben Partys. Jetzt wohnen wir in derselben Stadt und treffen uns ab und zu, trinken Kaffee, rauchen Zigaretten und lesen uns gegenseitig vor. Nachdem ich fertig bin, schenkt sie Kaffee nach, zündet sich eine Kippe an und sagt: «Willst du mal mit zum Poetry Slam kommen? Da kann man seine Texte vorlesen. Ich war letzten Monat schon da.» Ich nicke, melde mich an, und eine Woche später stehen Lola und ich eine Stunde in der Schlange zum
Molotow
.
Zweihundert Menschen drängen sich schließlich in dem engen Kellerraum aneinander, es ist stickig und schwitzig. Wir müssen, wie viele andere auch, stehen, und bevor es losgeht, kann hier niemand mehr wirklich atmen. Als es losgeht, rasten die Menschen, angeheizt von den beiden Moderatoren, vor und auf der Bühne aus. Ich habe so etwas noch nie vorher gesehen. Ich bin extrem nervös, ich trinke ein Bier, ich rauche, ich knicke die Zettel in meiner Hand. Dann wird mein Name aufgerufen, ich bahne mir den Weg durch das Publikum, bin aufgeregt, stelle mich vor das Mikrophon. Es ist zu hoch, ich ziehe es einfach zu mir runter, weil ich mich damit überhaupt nicht auskenne. Zum Glück scheint man mich zu verstehen. Dann lese ich meinen Text, meine Hände zittern, und ich bezweifle, dass irgendjemand mein Gesicht sehen kann, weil ich die Zettel direkt davorhalte. Nach sechs Minuten ist alles vorbei. Ich gehe von der Bühne, stelle mich wieder an meinen Platz und warte auf meine Wertungen. Plötzlich knallt mir das Adrenalin durch die Blutbahnen, das Auf- und Abregen, die Angst vor Menschen, die Angst vor mir selbst, die unmittelbare Ablehnung und Zustimmung, die so nahe beieinanderliegen. So wie die anderen Slammer, denke ich mir, so wie die anderen möchte ich auch schreiben und auftreten: entspannt und weniger ängstlich.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass ich ab jetzt viele Stunden damit verbringen werde, zu schreiben. Dass ich bemerken werde, wie anstrengend es ist; dass Jahre kommen werden, in denen ich wegen des Schreibens mehr Zeit in Zügen und fremden Städten und Ländern verbringen werde, als zu Hause zu sein. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass mich das Schreiben und Auftreten nicht loslassen wird, auch wenn ich Panikanfälle bekomme und mich entschließe, Slams abzusagen. Ich ahne nicht, dass ich mich gegen dumme Kommentare wehren muss, die mich auf mein Geschlecht reduzieren. Dass ich aber auch Menschen kennenlerne und immer wieder treffe, denen ich vertraue und die mir, weit weg von Hamburg, das Gefühl von einem Zuhause geben.
Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass dieser Abend mein Leben verändern wird.
Steht dir, würd ich aber nicht anziehen
Die sehen so hübsch zusammen aus, denke ich, als ich in der neuen Stadt, die ab jetzt meine sein soll, all die Pärchen sehe. Die sind alle so hübsch und glücklich, so eine Scheiße, denke ich. Ich kann nicht zu zweit hübsch sein, denn ich bin Single. Ich kann nur alleine hübsch sein, aber wenn ich all die Pärchen sehe, dann fühle ich mich wie ein hässlicher, aber liebenswerter Welpe im Tierheim – man wird gestreichelt, man besticht durch das Anderssein, aber einen haben wollen, das will keiner.
Ich kann bis heute nicht verstehen – und wahrscheinlich wird sich das auch in vielen Jahren nicht ändern –, wie sich Menschen in der Uni kennenlernen und dann sofort, ohne Umschweife, eine Beziehung zwischen ihnen entsteht. Oder sie begegnen sich auf einer WG -Party, und bevor ich weiß, wie die neue Eroberung meiner Freunde heißt, sind die beiden schon ein Paar. Wie geht das? Oder geht das einfach, nur bei mir nicht?
Frage ich das laut, kommt immer dieser Satz: «Du wirst schon noch jemanden finden, der zu dir passt.» Das erinnert mich an den Kommentar meiner Freundin Doro in der Oberstufe, als sie ein neues Outfit von mir sah: «Also, ich würd so was nicht anziehen, aber dir steht das.»
Danke. Ich soll also jemanden finden, der so abgefahren ist, dass er nur zu mir passt. Mir wird quasi die Berechtigung abgesprochen, jemand ganz Normales einfach so zu treffen und eine Beziehung zu führen.
Super hilfreich sind auch die
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