Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
bis dieser wieder verschwindet. Oder die Selbstzweifel. Oder mein Leben.
Oft ist es auch besser, nicht alles zu ertragen, nicht alles als gegeben und unumkehrbar zu sehen. Und sich zu erinnern, dass es Momente gibt, für die sich das alles lohnt. Augenblicke mit Mitbewohner_innen, Freund_innen oder Affären. Auf Partys, beim Kaffee oder in durchwühlten Bettlaken. Mich zu erinnern, dass ich in der Uni nicht nur leide, sondern auch etwas lerne und es mir Spaß macht, Texte zu lesen und zu diskutieren. Mich zu freuen, dass ich auf Bühnen stehen und reisen kann und Freunde gefunden habe, die nicht in derselben Stadt wohnen und mich trotzdem verstehen, weil sie das Rumfahren und Auftreten genauso sehr lieben und manchmal genauso erschöpft sind wie ich. Es sind nur Momentaufnahmen, aber sie kleben an mir wie eine Fototapete, und ich habe nicht vor, sie zu überkleben.
Da entdecke ich die Kiste von Dirk, in der ich die Fotos und die Zettelchen, die Eintrittskarten und die Geschenke aufbewahre, die dieser Mensch, mit dem ich ein Bett geteilt habe und den ich da noch nicht verabscheute, mir zurückgelassen hat. Auch Dirk habe ich irgendwann nicht mehr ertragen. Es hat sich ausgedirkt, ein für alle Mal.
Erinnern ist ja schön und gut, aber dauernd die Möglichkeit zu haben, mich anhand von Dingen und nicht von Gedanken zu erinnern, schmerzt. Deshalb nehme ich die Kiste, gehe ins Badezimmer und werfe alles in die Badewanne. Hier lagert immer noch meine Jacke von gestern Nacht, sie wabert umher, getrieben von den Wellen, die das Werfen der Kiste verursacht hat.
Ich zünde mir eine Zigarette an und überlege, ob wohl all die Wissenssendungen im Fernsehen recht haben und man auf keinen Fall irgendwelche Mikrowellen oder andere Elektrogeräte in gefüllte Badewannen werfen sollte, weil sonst alles explodiert.
Eine Mikrowelle gibt es in der WG nicht, außerdem müsste ich dafür das Badezimmer verlassen. Aber: Kiste und Jacke müssen zerstört werden, so viel steht fest. Ich sehe mich um. Eine elektrische Zahnbürste wird wahrscheinlich nicht reichen, um ein Inferno zu verursachen, genauso wenig der batteriebetriebene Rasierapparat von Rocco. Dann fällt mein Augenmerk auf den Föhn, und ich lächle labil. Als ich den surrenden Haartrockner aus sicherer Entfernung in die Wanne werfe, gibt es – einen Kurzschluss. Ich ziehe den Stecker des Föhns und bin enttäuscht. Das habe ich mir schöner vorgestellt: Die Kiste mit all ihrem Inhalt hätte in einem feuerwerksartigen Urknall in ihre Einzelteile zerbersten sollen, vielleicht in lodernden Flammen aufgehen; das Feuer, genährt von all der Liebe und dem darauffolgenden Hass, sollte groß sein, vielleicht hätte sogar der Duschvorhang mitverbrennen können, ein Akt der Befreiung. Jetzt sitze ich auf dem Badewannenrand und kann kaum verstehen, wieso der Scheiß nicht in die Luft gesprengt worden ist.
Bei mir enden nicht alle Abende im Badezimmer, doch die meisten. So wie bei anderen Menschen auch, nur, dass ich mich in diesem Raum wirklich aufhalte. Ich mag die Kühle der Kacheln und die Wärme des Badewannenvorlegers, der nicht nur meine Füße angenehm temperiert, sondern mir auch schon oft ein Bett war, wenn es fürs Gehen nicht mehr gereicht hat.
Die stinkende Straßenluft ist meine Decke, und mein Arm ist das Kopfkissen, wenn ich dort so liege. Ich fühle mich klein in dieser Höhle aus Fliesen und weißen Wänden. Ich fühle mich groß in der Hülle drum herum, die Hamburg ist, eine Stadt aus Wasser und waberndem Nebel und vielen Menschen, die keine Zeit haben, aber sie sich einfach nehmen, um in Badezimmern, wie meines eines ist, ihre Zähne zu putzen, den Stadtstaub vom Gesicht zu waschen und ins Bett zu gehen. In ihrem Zuhause, oder das, was sie ein Zuhause nennen.
Ich bin hier zu Hause, in meiner Wohnung, meinem Badezimmer, in Hamburg.
Es ist Zeit.
Schlafen zu gehen.
Dank
Ganz herzlich bedanke ich mich beim Rowohlt Verlag, vor allem bei meiner Lektorin Julia Vorrath. Es ist toll, dass ihr dieses Buch mit mir macht. Es ist phantastisch, dass ihr an mich glaubt. Merci!
Danke, Mama, dass du immer für mich da bist. Ich liebe dich.
Danke, Immi, ohne dich wäre ich allein. Für immer du.
Danke an meine lieben Verwandten.
Danke an meinen Hund Willie.
Danke, Jan, für die Auf und Abs in all den Jahren, es ist schön, dass wir sind.
Danke, Carmen, du bist meine zweite Schwester.
Danke, Michel, für den Rat und die zahlreichen Gin Tonics.
Danke an
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