Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Kommunikationswissenschaften gereicht, sonst hätte ich gewechselt. Immerhin kann ich in der Germanistik neben Neuere deutsche Literatur und Linguistik auch Film- und Fernsehseminare belegen.
Manchmal werde ich innerlich ganz aggressiv bei diesem: «Dieses Gedicht hier hat Goethe an die Wand seiner Waldhütte geschrieben. Was können wir daraus schließen?» – Dass er sich mit seinen Freunden in dem Verschlag schön einen reingebechert hat und sich dann besoffen dachte: ‹Mach ich halt mal Graffiti-Poesie und schenk mir noch was nach!›, denke ich dann. Das ist auch nichts anderes als Poetry Slam.
Lukas. Lukas. Lukas. Das steht da auf meinem Block, und ich weiß, dass ich ihn toll finde. Er ist einer der wenigen Menschen an der Uni, der allein von seinem Aussehen her nett und witzig in einer Person zu sein scheint. Wir sitzen in dieser Vorlesung, er sitzt ein paar Plätze von mir entfernt. Ich glaube, Lukas ist der einzige Grund, warum ich hier noch nie gefehlt habe. Vielleicht heißt er auch gar nicht Lukas, ich habe noch kein Wort mit ihm gewechselt, aber ich finde, Lukas würde gut zu ihm passen. Er sieht schön aus.
Lukas soll mal rübergucken. Wie soll das denn sonst funktionieren, das mit diesem Liebe-auf-den-ersten-Blick, wenn der mich nicht einmal ansieht? Ich versuche seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, indem ich mich laut, vielleicht etwas zu laut, räuspere. Der Professor sieht mich an, fragt, ob ich etwas sagen will, alle anderen drehen sich zu mir um und schauen mich an. Ich schüttle nur gelangweilt den Kopf und sehe zu Lukas rüber, der weiterhin auf seinen Tisch starrt. Ist der dumm oder was? HALLO ? Guck mich an!
Ich kommentiere leise das, was der Professor sagt, immer dann, wenn er eine Pause macht. «Hier auf der Folie ist noch mal für alle das Kommunikationsmodell 1 aufgeführt.» – «Das kannst du dir sonst wohin stecken», murmle ich vor mich hin und schiele zu Lukas hinüber. Aber der starrt weiterhin nur auf den Tisch vor sich. Wenn das Vor-mich-hin-Pöbeln nicht funktioniert, dann klappt eben Erotik. Ist kein Problem, denk ich noch, als ich versuche, möglichst lässig meine Haare hinter und dann wieder vor meine Schulter zu werfen. Dabei reiße ich aber nicht nur kräftig an meiner Nackenmuskulatur, sondern auch noch den Kaffeebecher vom Tisch. «Och, Scheiße», sage ich und weiß, Erotik hat mal ganz und gar nicht geklappt. Alle gucken mich an. Wahrscheinlich hat der Professor gerade eine Redepause gemacht, und meine Aussage war überall gut hörbar. Das ist so, wie wenn man auf einer lauten Party über einen anwesenden Gast lästert, das aber genau in die Stille zwischen zwei Liedern in den Raum brüllt. Dann gucken auch immer alle. Sollte man nicht tun. Hab ich aber gerade getan. Lukas guckt mich jetzt tatsächlich an, schüttelt aber nur fassungslos den Kopf und widmet sich wieder dem Pult. «’tschuldigung», sage ich in die Runde.
Als die Vorlesung vorbei ist, renne ich mit geducktem Kopf aus dem Hörsaal. Ist jetzt eh alles egal, alle finden mich peinlich, da kann ich auch einfach schnell wegrennen. Natürlich remple ich Lukas nicht an. Ich sehe ihn auch nicht, weil ich nur den billigen Plastikfußboden sehe, der unter meinen Füßen zu einem fließenden grau melierten Strom verschwimmt. So schnell laufe ich. So schnell keuche ich und beschließe, erst mal vor dem Gebäude eine Zigarette zu rauchen.
«Hast du mal Feuer für mich?», fragt jemand. Ich dreh mich zur Seite, natürlich ist es Lukas. Ich gebe ihm mein Feuerzeug. «Bitte», sag ich. «Danke», sagt er. Er steht ein wenig von mir entfernt und starrt auf die Waschbetonplatten, die aussehen wie kleine Gebirge. Das ist ein Rumstarrer, denke ich, den muss man bestimmt nur in ein Gespräch verwickeln, dann guckt der auch mal. «Hey», sage ich, «du warst doch auch gerade in der Vorlesung, oder? Ich mach die jetzt zum dritten Mal und find’s immer noch megalangweilig.» Sofort ärgere ich mich über das dumme Uni-Thema und das Wort
mega
. «Ja», antwortet Lukas, «aha. Ich mach die zum ersten Mal, aber ist voll okay so. Also, es gibt Schlimmeres.» Ja, denke ich, natürlich gibt es Schlimmeres. Zum Beispiel, dass du mich nicht anguckst und offensichtlich auch nicht mit mir reden willst. «Klar», sage ich, «zum Beispiel Krieg oder so. Das ist auf jeden Fall schlimmer. Aber ist schon ein bisschen dumm, so ein Vergleich. Also, nicht, dass ich denke, du wärst dumm oder so. Ich kenn dich ja gar nicht. Ich
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