Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
ist er auch noch beleidigt und fragt, ob er mir vielleicht peinlich sei. Ich denke: Ja, kann sein. Und ich sage: «Ja, kann sein.» Und dann behauptet er, ich würde ihn verleugnen, wenn ich später nicht mit ihm da hingehen würde. «Du tust ja so, als würden wir uns nicht kennen», sagt er. Ich denke: Ja, kann sein. Und ich sage: «Ja, kann sein.» Jetzt höre ich nur noch ein wütendes Grum«meln am anderen Ende, und dann bricht es unzurechnungsfähig aus ihm heraus: «Ich meine, wir müssen ja auch nicht telefonieren. Aber ich kann dir gleich sagen, ich lösche dich aus meinem Handy, aus meinem Lebenslauf. Ich hab dich dann nie gekannt. Und keiner, der mich kennt, wird je von dir erfahren. Es gibt ja jetzt schon Leute, die rein gar nichts mehr von dir halten!»
Ich: «Wer denn?» Dirk: «Zum Beispiel meine Mutter! Und du kannst dir sicher sein, ich werd dafür sorgen, dass überall, wo du hinkommst und die Leute anlächelst, du einfach nur noch verbrannte Asche hinterlassen wirst. Verbrannte Asche wirst du hinterlassen. Verbrannte Asche!»
Aha, denke ich, jetzt dreht der vollkommen am Rad, hört sich an wie so ein Wanderprediger im Fernsehen:
Du wirst verbrannte Asche hinterlassen!
Und was soll das überhaupt bedeuten: «verbrannte Asche»? Ich merke an, dass Asche schon etwas Verbranntes sei und nicht noch mal verbrennen kann. Ich frage vorsichtshalber, wie er das mit der verbrannten Asche machen will. Er brüllt: «Ich werde dafür sorgen, dass du, wenn du lächelst, nur noch verbrannte Asche hinterlassen wirst!» Ich sage: «Ja, hab ich verstanden. Aber wie willst du das machen? Mit ’nem Feuerzeug hinter mir herlaufen? Und außerdem ist mir deine Mutter doch total egal, du bist mir egal, du mit deiner verbrannten Asche, du weißt ja nicht mal, wie du das hinkriegen willst, was ist denn das für eine scheiß Ansage? Für wen hältst du dich eigentlich?» Dann lege ich auf.
Ich sitze immer noch in der U-Bahn. Neben mich setzt sich ein Typ mit einem Hund. Ich grinse den Hund an, weil er so niedlich ist. Der Hund fängt an zu winseln, an seiner Rute bildet sich Rauch. Der Mann sagt dem Hund, dass er still sein soll. Dann fragt er mich, ob ich finde, dass es hier irgendwie verbrannt riecht. Ich atme tief ein, das Hündchen qualmt am ganzen Po, und ich antworte: «Nein!»
Das hab ich mir bestimmt eingebildet. Das kann gar nicht sein. Ich lächle vorsichtshalber nicht mehr und steige an der nächsten Station aus, der Hund knurrt mir leise hinterher, während sein Herrchen ihn panisch in seine Jacke wickelt, um das Feuer zu löschen. Als ich aus der U-Bahn-Station komme, habe ich wieder gute Laune, weil ich gleich zu Hause bin, und lächle glücklich vor mich hin. Ich bemerke erst nach einigen Schritten, dass da ein glühender Baum steht, da vor der Ampel wird die Schlange der Autos zu einer brennenden Straßenblockade, überall fallen angesengte Tauben vom Himmel, da wird aus der Straße eine schleimige Teerschicht, dort stehen Alter-ich-schlag-dich-blutig-du-Opfer-Jugendliche in Flammen, da brennen Mülltonnen, Frauen weinen, weil ihre Kinder vor sich hin kokeln. Kinder weinen, weil ihre Mütter weinen.
Der Himmel verdunkelt sich und bricht dann auf, und eine sehr heiße Sonne schickt ihre glühenden Strahlen herab. Oh, mein Gott! Alles, was ich anlächle, fängt Feuer, brennt, es qualmt überall, ich hinterlasse nicht nur verbrannte Asche, ich hinterlasse eine brennende Welt! Ich bin irgendwie wie der Teufel, böse, und das hier ist die Hölle auf Erden! Doch was ist das? Anscheinend bin ich eine Mischung aus Satan und Jesus, denn die Obdachlosen meines Viertels versammeln sich um den brennenden Baum und die lodernden Mülltonnen, um sich zu wärmen, die Hungrigen kommen aus den Gassen und lassen die gebratenen Tauben in ihren Mund fliegen, die herbeigerufenen autonomen Linken sind traurig, weil sie zu spät kommen und die Autos schon brennen und die Straße blockieren, einige ziehen enttäuscht von dannen, andere bleiben und tanzen auf dem Bürgersteig. Die Alter-ich-schlag-dich-blutig-du-Opfer-Jugendlichen finden sich voll hot und gleichzeitig cool und zeichnen mit ihren Schuhen ihre Tags in die aufgeweichte Straße. Die Kinder weinen nicht mehr, sondern freuen sich auf neue Klamotten, die Mütter lächeln, weil die Kinder nicht mehr weinen. Die Fensterscheiben aller umliegenden Häuser zerbersten unter der enormen Hitze, alle Depressiven werden durch das plötzlich einfallende Sonnenlicht und die daraus
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