Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
seinen Büchern.
Meine Oma ist eine kleine, dünne Frau, die ihre Augen nur manchmal auf einen Punkt im Raum richtet. Sie ist gefangen in einem Körper, der sich nicht mehr bewegen will. Früher, da konnte sie nicht stillsitzen. Morgens um vier Uhr stand sie auf und trug Zeitungen aus, während mein Opa die Tiere versorgte und in seiner Mühle das Mehl zu Korn mahlte.
Heute sind Omas Tage einsam, denn meist sitzt Opa lieber in der Küche und löst Kreuzworträtsel oder verliert sich in Geschichten. Das liegt daran, dass er sie immer noch so sehr liebt und es ihm das Herz zerreißt, sie dort so liegen zu sehen.
Und dann erzählt mein Opa eine Geschichte. Meine Oma liegt im Bett und spricht nicht, und ihre Blicke streifen umher. In der Geschichte ist mein Opa der Protagonist. Er wachte eines Nachts auf und hörte schreckliche Geräusche aus seiner Mühle. Die Kirchturmuhr hatte gerade erst zwölf geschlagen, und obwohl ihm ein bisschen unheimlich zumute war, ging er zur Mühle, um zu schauen, was dort vor sich ging.
Er konnte nichts finden.
An diesem Punkt macht mein Opa eine Pause, und ich frage mich, ob es so etwas wie Geister in dieser Welt vielleicht wirklich gibt. Dann lasse ich meine Blicke durch den Raum wandern und sage nichts. Ich stelle mir vor, wie das wohl ist, wenn ich achtzig Jahre alt bin und irgendwo sitze und Geschichten erzähle. Geschichten immer wieder erzähle, und keiner sagt, dass er sie schon kennt. Weil alle wissen, dass die Zeit nicht anhält und wir älter werden und jedes Wort ein Augenblick ist, den wir versuchen festzuhalten.
Meine Oma schmatzt vor sich hin, und mein Opa unterbricht seine Pause und fängt an zu lächeln. Er sagt, er wäre damals wieder ins Bett geschlichen und hätte schlecht geschlafen. Am nächsten Morgen wäre er abermals in die Mühle gegangen und hätte nochmals nach einer Ursache für den nächtlichen Lärm geschaut.
Opa lächelt immer noch und sagt, dass in der Nacht damals kein Geist gekommen, sondern nur ein Riemen gerissen war, der diesen Krach verursacht hatte.
Jedes Mal, wenn er diese Geschichte erzählt, lacht mein Opa am Ende. Er lacht über seine Angst, und er lacht, weil er lieber doch nichts gefunden hätte, damit er sich über einen Geist hätte wundern können. Und damit er sich nicht sicher sein kann, ob es etwas gibt, das wir nicht verstehen.
Manchmal, da wünschen wir uns, dass etwas, das nicht wahr ist, doch wahr sein soll.
Ich wünsche mich zurück in die Sommer, die eine Ewigkeit waren und ich Kind und unbeschwert und Liebe etwas, das nicht wehtat. Ich träume mich zurück in die Zeit, als meine Großeltern nicht an Bett und Alter gefesselt waren.
Ich sitze hier bei den beiden, und während Opa lacht, fängt Oma ihre Blicke ein, schaut mich an und sagt meinen Namen. Ich halte ihre Hand und schaue in die Gesichter dieser zwei Menschen, die in ihrem Leben keine Geister benötigen, weil sie sich lieben, und nichts brauchen, was nicht wirklich ist.
Verbrannte Asche
Brrrr. Brrrr. Brrrr. Ungefähr so vibriert mein Handy. Und jetzt vibriert es auch. Ich bin in der U-Bahn. Ich suche das Handy. Ich suche das Handy. Ich finde das scheiß Handy. Ahh, das ist Dirk, mein Exfreund. Und mal davon abgesehen, dass Exfreunde meistens scheiße oder dumm sind, ist dieser hier beides: scheiße und dumm und zusätzlich unzurechnungsfähig. Geh ich da jetzt ran oder nicht? Geh ich da jetzt ran oder nicht? Geh ich ran oder nicht? Gleich ist es zu spät. Okay, ich geh ran.
Ich bin vollkommen entspannt mit der ganzen Situation, ich bin die Ruhe selbst, ich habe ein meditatives Sonnengeflecht in meinem Bauch und aktiviere jetzt mein Pilates-Power-House, ich bin so gelassen, ich schlaf gleich ein, ich kann damit umgehen, dass wir nicht mehr zusammen sind. Kannst
du
ja anscheinend nicht, oder warum rufst du mich an, du scheiß Typ, du bist das Allerletzte, «Ich-hasse-dich» ist noch zu nett, um meine Gefühle für dich zu beschreiben, wieso hab ich deine Nummer noch nicht gesperrt, du krankes Schwein, ich will gar nicht mit dir reden, ich hab schon viel zu oft mit dir geredet und geschlafen. Was willst du denn noch von mir? «Hallo», brülle ich in das Handy. «Hallo», sagt Dirk. Und dann sagt er erst mal nichts. Ich frage, warum er mich angerufen hat, und er fragt, ob ich heute Abend mit ihm auf eine Party gehen will. «Nein!», sage ich. Der ist wirklich dumm, denke ich, der ist so dumm, ich geh doch nicht mit meinem Arschloch-Exfreund auf eine Party!
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