Unsichtbar und trotzdem da!, 5, Spur der Erpresser (German Edition)
Inzwischen war die Sonne versunken und der Wannsee war schwarz wie die Nacht. Nur vereinzelt spiegelte sich der eine oder andere Stern darin. Die Schiffsmotoren ließen den Dampfer zittern und von der Tanzfläche drang altmodische Schlagermusik.
Der Kellner trat mit drei dampfenden Tassen Kakao zu den Freunden.
„So, extra heiß“, verkündete er fröhlich.
Addi sah ihn kopfschüttelnd an.
In diesem Moment kam hinter dem Kellner eine seltsame Gestalt angerauscht. Sie war hoch aufgeschossen, sehr dünn und trug einen dicken, etwas verschlissenen Pelzmantel. Aus dem mit Federn durchzogenen Kragenfell ragte ein dünner Hals empor, auf dem ein schmaler Kopf mit strengen Zügen saß. Darin glänzten hinter einer Brille mit blassrotem Rahmen zwei grünblaue Augen. Ihr feuerrotes Haar hatte die ältere Dame hochgesteckt und am Ende zu einer Art Dutt gefesselt. Mit einer dünnen, etwas verhangen wirkenden Stimme fragte sie den Kellner: „Bitte, wann kommt die nächste Anlegestelle?“
„Moorlake, fünfzehn Minuten, gnädige Frau.“
Die seltsame Dame nickte und ließ sich, ohne auf ihre Umgebung zu achten, auf eine Bank neben den Unsichtbar-Affen fallen. Dort starrte sie reglos vor sich hin.
„Uh, die sieht aber unheimlich aus“, flüsterte Addi.
„Nein, sie sieht traurig aus“, fand Jenny.
„Oder ziemlich durcheinander“, fügte Ağan hinzu.
Ein wenig beunruhigt sahen die drei die Frau an. Plötzlich aber sprang Goffi auf und landete mit einem gewaltigen Satz genau im Schoß der alten Dame.
„Goffi!“, rief Addi erschrocken.
Aber die Frau winkte ab. „Süßes Äffchen“, sagte sie leise. „Süßes Äffchen. Ja, du verstehst mein Herz, nicht wahr? Verstehst, was ich tun muss. Ich muss meine Lieblinge befreien. Wer weiß, wie es ihnen geht? Nicht gut! Oh nein, gar nicht gut. Und nur ich kann ihnen helfen, nicht wahr?“ Sie streichelte Goffi, dermit großen Augen zu ihr aufsah. „Nur ich! Oh, das hätte nie geschehen dürfen. Aber ich war hilflos, süßes Äffchen. Ganz hilflos! Und jetzt muss ich sie retten. Sonst ist alles vorbei. Sie werden nicht überleben ohne mich.“ Ihr Blick fuhr über die Unsichtbar-Affen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. „Nur ich kann sie retten, das hat er mir klargemacht. Und ich werde euch retten, meine Lieblinge.“ Ihre Stimme sank zu einem leisen Murmeln, sodass die Worte nicht mehr zu verstehen waren.
Jenny, Addi und Ağan wagten nicht, sich zu regen. Wie gebannt sahen sie zu Goffi, dem die alte Frau immer wieder sanft durchs Fell fuhr.
„Mann, Mann, Mann, Mann“, flüsterte Addi. „Was ist denn das wieder? Wovon spricht sie?“
„Von ihren Lieblingen, die sie retten muss“, wisperte Jenny. „Das hörst du doch.“
In diesem Moment ertönte die Schiffssirene. Wie ein unheilvoller Ton legte sie sich über die leise weiter brabbelnden Lippen der Frau im Pelzmantel. Sie übertönte alles und durchflutete den Ausflugsdampfer mit ihrem Jaulen. Sogar die Tanzmusik war nicht mehr zu hören und für einen Augenblick sahen die Unsichtbar-Affen nur noch die Lippen der alten Frau, die sich weiter und weiter bewegten, als könnten sie nie wieder stillhalten.
Plötzlich meinte Ağan: „Diese Dame ist in Not.“
„Die ist irre!“, sagte Addi. „Das sieht man ja wohl!“
„Nein, sie ist in Not. Das kann ich spüren“, wiederholte Ağan. „Und wir müssen ihr helfen. Wenn sie an der nächsten Haltestelle aussteigt, gehen wir mit.“
„Das heißt Anlegestelle“, murmelte Jenny.
„Ja, okay!“ Ağan sah seine beiden Freunde eindringlich an. „Du hast recht, Addi, sie ist tatsächlich verwirrt. Aber sie weiß nicht, was sie tun soll. Das ist ganz deutlich. Ihr ist irgendetwas zugestoßen und sie weiß ganz eindeutig nicht, was sie tun soll.“
„Aber dann wäre es besser, die Polizei zu holen“, sagte Jenny.
„Dazu haben wir keine Zeit!“ Ağan zeigte mit dem Finger in die Luft. Soeben ertönte die Schiffssirene wieder. „Wir legen gleich an. Und dann steigt sie aus. Und ...“, er deutete aus den Schiffsfenstern, hinter denen sich die Dunkelheit wölbte, „... da draußen ist nur Finsternis. Wenn ich das alles richtig verstanden habe, wird diese verlorene Frau alleine in den dunklen Wald gehen.“
„Und wir sollen ihr folgen?“, fragte Addi.
„So ist es, mein Freund“, antwortete Ağan. „Sie hat gesagt, sie will ihre Lieblinge beschützen. Und irgendetwas muss sie dafür tun. Das klingt in meinen Ohren, als ob sie erpresst würde. Und
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