Tore nach Thulien 2 : Dämmerung (German Edition)
Einlass
Seit dem Aufbruch der Gruppe in den Norden war nun schon eine Woche vergangen, und dennoch musste Hauptmann Taris heute mehr denn je an die Vorfälle kurz vor der Abreise Tristans denken. Er hoffte inständig, dass die Übergriffe der schwarzen Skorpione mit deren Niederlage in Fuhrheim ein Ende gefunden hatten, doch so recht wollte er nicht daran glauben. Er hatte die schwarz gekleideten Krieger als unerbittliche, zielstrebige und absolut tödliche Kämpfer kennen gelernt, und auch wenn es den Anschein hatte, als wäre wieder Normalität in Leuenburg eingekehrt, so war doch etwas von diesen unheimlichen Feinden in der Stadt des Herzogs geblieben. Taris konnte nicht genau sagen was, doch seither hatte ihn eine Unruhe erfasst, die ihn nicht mehr loslassen wollte. Er selbst machte sich nichts vor und war auch schon zu alt, um sich selbst zu belügen: Er hatte Angst.
Angst um die Stadt, Angst um die Menschen, die darin lebten und Angst um sein eigenes Leben. Dem Tod war er in der Vergangenheit schon oft begegnet und Schlachten hatte er in seinem Leben viele geschlagen, doch das hier war anders. Der Feind war unsichtbar und kannte keine Gnade. Er schlug schnell, hart und erbarmungslos zu und, was noch viel schlimmer war, man wusste nicht, woher er kam und wofür er kämpfte. Sicher, die Sabotage der Reise in den Norden war bisher das ausgemachte Ziel der schwarzen Skorpione gewesen, doch Taris konnte nicht glauben, dass das alles war. Warum hatten es sich die Feinde des Herzogs - und dass er Feinde hatte, stand außer Frage - so schwer gemacht? Weshalb, in der Herrin Namen, die heimlichen Attentate und Sabotageakte? Ein Trupp gut bewaffneter Söldner mit Pferden hätte ein weit besseres Ergebnis außerhalb der Grenzen Leuenburgs erzielt. Diese und andere Fragen geisterten in Taris’ Kopf umher und bisher war es ihm noch nicht gelungen, Antworten darauf zu finden. Wohl auch deshalb hatte er damit begonnen, die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt zu verstärken. Das Stadttor wurde mit der beginnenden Dämmerung geschlossen, Patrouillen hielten Nachtwache in den Gassen und die Garnison war in erhöhter Alarmbereitschaft. Urlaub wurde nur noch in Ausnahmefällen genehmigt und Drill und Ausbildung der Rekruten stand an oberster Stelle des Tagesplans. Taris wusste noch nicht worauf, doch er wollte vorbereitet sein. Viel konnte er nicht tun, doch das Wenige sollte zumindest so gut wie möglich ausgeführt werden.
Am Grünwalder Tor herrschte, wie eigentlich immer in diesen Tagen des Frühlings, hektische Betriebsamkeit. Händler brachten ihre Waren vom Treidelhafen die Straße hinauf zur Stadt, Tagelöhner passierten mit der Hoffnung auf Arbeit die Tore und Reisende suchten in der alten Herzogstadt nach einer Herberge. Die Wachen machten ihre Arbeit gut. Jeder, der in die Stadt wollte, musste sich erklären und auch die ein oder andere unangenehme Frage über sich ergehen lassen. Der Verkehr staute sich durch diese Maßnahme ungemein, das wusste Taris, doch war es das bei weitem kleinere Übel. Es war besser, Unruhestifter und Feinde des Herzogs gar nicht erst in die Stadt zu lassen, als sie dann im Nachhinein in den unüberschaubaren Gassen Leuenburgs wieder ausfindig machen zu müssen.
Taris war mit den Abläufen am Grünwalder Tor zufrieden. Er sah den Wachen noch kurz bei ihrer Arbeit zu und wollte sich gerade wieder auf den Weg zur Garnison machen, als ihm ein heruntergekommener Wagen ins Auge stach. Eine der Wachen beorderte den Wagen gerade zu sich und begann ein Gespräch mit dem Kutscher. Auf den ersten Blick war der Fahrer ein Mann mittleren Alters, doch die eingefallenen Wangen und die tief in den Höhlen liegenden Augen sagten etwas anderes. An den Kleidern klebte altes Blut und an vielen Stellen waren sie löchrig. Das Pferd, das den Wagen zog, sah nicht viel besser aus. Ausgemergelt und dürr, traten an vielen Stellen bereits die Knochen unter dem Fleisch hervor und der Schaum ums Maul war mit blutigen Flocken durchzogen. Der Wagen selbst schien auf den ersten Blick noch weitgehend in Ordnung zu sein. Zwar hatte er augenscheinlich schon viele Wegstunden auf dem Buckel, doch war er durchaus noch funktionstüchtig. Einzig die Plane sah nicht mehr sonderlich gut aus und hatte mehr mit der Kleidung des Kutschers gemein, als mit dem Aufbau eines für diese Region typischen Planwagens.
Taris näherte sich dem Gefährt von hinten und ließ dabei weder
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