Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Französinnen. Die habe ich auch immer bemüht, wenn es darum ging, mein Gewissen zu beruhigen oder verdeckten Vorwürfen zu begegnen.
Wortlos schob ich Johanna den beklemmenden Artikel einer in Berlin lebenden Französin namens Geneviève Hesse über den Tisch, den ich, leider, in der Zeitschrift «Emotion» gelesen hatte. Tendenziös, teilweise so ekelig unsachlich wie Eva Herman, aber auch sehr interessant.
Seit Jahren wird sie in Deutschland in allen Varianten serviert: die französische Mutter, die alles mit links wuppt. Spätestens am Ende ihrer zehn Mutterschutzwochen ist sie wieder im Beruf – Vollzeit, versteht sich.
«Aber wie schafft sie das alles überhaupt?», fragt mich Martina vor unserem Berliner Kindergarten, der Kinder frühestens mit 1,5 Jahren annimmt.
Ja, richtig, wie fühlt sich das an, mein Baby mit kaum drei Monaten von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends in der Krippe abzugeben? Denn das tun viele Französinnen.
Der eigentliche Trick der Französin ist nicht die ganztägige Krippe. Sondern die Abschaffung ihres mütterlichen Instinktes.
Wenn es ums Stillen geht, gehört Frankreich zu den europäischen Schlusslichtern.
Dass Kinder im Elternbett schlafen, ist verpönt.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich mit meiner französischen Cousine nach der Geburt ihres ersten Kindes in einem Pariser Krankenhaus telefonierte.
Mit erschöpfter Stimme sagte sie, es habe alles gut geklappt. Aber jetzt sei ihr furchtbar übel! Das lag an den Medikamenten, die sie nahm, um zu vermeiden, dass die Milch einschoss, denn zum Stillen hatte sie keine Zeit.
Drei Monate später war sie zurück im Beruf und kämpfte gegen eine Chefin, von der sie gemobbt wurde. Heute hat sie drei Kinder, und ist eines krank, kann sie es trotzdem in die Krippe bringen. Denn wenn es sein muss, nimmt ihre crèche die Kleinen auch mit 39 Grad Fieber.
Ein Einzelfall? Nein! Französische Kinder müssen sich der Welt der Erwachsenen früh anpassen. Frankreich ist im europäischen Vergleich Spitzenreiter, wenn es darum geht, Antibiotika zu verschreiben. Maman muss ja zur Arbeit – und das Kind schnell wieder gesund werden. Für Schwäche und Krankheit haben französische Mütter keine Zeit.
Dass ein Mensch eine sichere Bindung in seinen zarten Lebensjahren braucht, um später wirklich unabhängig und stark zu sein – davon habe ich in meiner ersten Heimat nie gehört.
Kleinkinder sollen keine Küken sein, deshalb lassen Mütter sie früh los. So früh, dass Mutterliebe brutal erstickt.
Die französische Autorin Elisabeth Geisel berichtet, dass 16 Prozent der Babys in der Pariser Region vor dem neunten Lebensmonat regelmäßig Schlaf- und Beruhigungsmittel bekommen. Der Flasche lässt sich ziemlich viel beimischen.
Das Geheimnis der französischen Mutter? Sie delegiert Mütterlichkeit und Erziehung. Nicht nur an die Krippe ab drei Monaten und an die Schule ab drei Jahren, sondern auch an die Medizin.
«Haben dann französische Kinder alle einen Knall?», fragt mich Martina. Ich bin mir zumindest sicher, Babyaugen leuchten in Deutschland anders. Zu Besuch in Frankreich, brabbelte ich mit Säuglingen und wollte bei ihnen denselben Sonnenstrahl herauslocken. Ich fand fast immer Trauer in ihren Gesichtszügen.
Als Baby möchte ich nicht in Frankreich wiedergeboren werden, verzeihe es mir, maman .
Sehe ich in den Augen meines Kindes das glücklich-deutsche Glitzern? Oder nicht doch die französische Trauer des zu früh abgeschobenen Menschleins?
Es ist zum Heulen und zum Kotzen, was wir Mütter uns gegenseitig antun.
Und egal, welche These man der anderen gerade um die Ohren hauen will, es gibt immer mindestens eine repräsentative Studie, die man als Beleg zitieren kann.
So lässt sich dann wahlweise beweisen:
Kinder, die früh in die Krippe kommen, sind innerlich gestresst und kommen von diesem hohen Stresslevel ihr Leben lang nicht wieder runter.
Kinder, die früh in die Krippe kommen, sind selbstbewusster und aufgeschlossener.
Kinder sind die ersten drei Lebensjahre am besten zu Hause bei ihrer Mutter aufgehoben.
Kindern tut es gut, so früh wie möglich Beziehungen zu mindestens drei Bezugspersonen aufzubauen.
Berufstätige Mütter sind zufriedener und ihre Kinder ausgeglichener.
Familien, in denen das traditionelle Rollenbild gelebt wird, sind stabiler.
Meine ganz persönliche Studie hat folgendes Ergebnis: Mit dem Baby bekommst du als Mutter ein schlechtes Gewissen automatisch mit
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