Unter dem Safranmond
unter.
»Bring mich nach Hause«, flüsterte sie. Nach Cairo. Zu Rashad.
»Wirst du mir eigentlich irgendwann erzählen, wie das damals alles mit euch …«
»… du würdest es mir vermutlich sowieso nicht glauben …«
»… könntest es zumindest versuchen …«
Ihre Stimmen verklangen auf dem Friedhof der katholischen Kirche von St. Mary Magdalen’s in Mortlake. Die laue Sommerluft trug sie hinüber zu einer wohlbeleibten Frau in vollem Witwenornat, die unter ihrem schleierverhängten Hut aus dicken, rotgeweinten Augen hinüberblinzelte. Überrascht blieb sie stehen und blickte dem Paar hinterher. Mutter und Sohn, eindeutig … Wie die Klinge eines Säbels durchbohrte es sie, als es ihr durch den Kopf schoss: So hätte Richards Sohn aussehen können … so dunkel …
Ihr Taschentuch vor den Mund gepresst, setzte sie ihren Weg fort, nur wenige Stunden nachdem sie ihren Gatten hier zur Ruhe gebettet hatte und doch schon wieder zu seinem Grab pilgerte; wie sie es noch oft tun würde, in den wenigen Jahren, die ihr noch blieben, ehe sie an seiner Seite ihre letzte Ruhe finden würde, im Inneren des Beduinenzelts aus Marmor.
Es war Abend. Die nächsten Tage würde sich Isabel Burton hinsetzen und einen offenen Brief an all die enttäuschten Leser schreiben müssen, die auf die Veröffentlichung der neuen, dieses Mal nicht der Schicklichkeit zuliebe entschärften Fassung seiner Übersetzung des erotischen Werkes The Perfumed Garden of the Shaykh Nefzawi unter dem Titel The Scented Garden warteten. Es war an ihr, die unangenehme Nachricht zu verbreiten, dass sie nur kurze Zeit nach dem Tod ihres Mannes seine Papiere durchgesehen und das, was ihrer Meinung nach seinem Ruf hätte Schaden zufügen können, verbrannt hatte.
Kurz nach ihrer Eheschließung hatte bereits ein Feuer in dem Lagerhaus, in dem er seine Vergangenheit in Form von Papieren aus der Zeit seiner Jugend, seiner Studienzeit und der ersten Reisen nach Indien und Arabien eingelagert hatte, alles vernichtet. Isabel war darüber nicht unglücklich gewesen, und auch Richard hatte es als eine Art Gottesurteil betrachtet.
Eines seiner Notizbücher jedoch hatte sie aufbewahrt, weil ein Gedicht, das ihr Ehemann, ihr Gott, ihr Lebensinhalt, vor einigen Jahren wohl verfasst haben musste, sie auf merkwürdige Art angerührt hatte. Merkwürdig deshalb, weil sie selbst darin gar nicht erwähnt wurde. Gleichwohl hatte es sie verletzt, diese Zeilen zu lesen, und dennoch brachte sie es nicht über sich, sie zu vernichten. Und genauso wenig wusste sie nun, warum sie es gerade heute, am Abend der Beerdigung, noch einmal lesen musste.
Sie kniete vor der Kiste, in der sie seine Notizbücher, Papiere und Dokumente aufbewahrt hatte und holte es hervor, setzte sich damit an den Tisch und schlug es an der entsprechenden Stelle auf.
Vergangene Lieben
Ich kann unmöglich die getauften Namen
Nennen all dieser und jener Damen.
En revanche werd’ ich probieren
Zu sammeln ein paar kleine Einzelheiten
Der Abenteuer mit holden Weiblichkeiten
Die mir meine Vergangenheit zieren.
Als erste Caterina kam, mit Augen von
Feuer, hoch entflammt; schon
Hatten sie mein Herz in Brand gesetzt.
Doch diese Liebe führte an kein Ziel
Ich war arm und sie hatt’ auch nicht viel
Mussten uns trennen, zu guter Letzt.
Ein kleines Mädchen ich aufzähl’
In ihrer Unschuld sie stahl mein Herz und Seel’
Und hat sie beides nicht noch heut’?
Und wieder Stolz und Armut im Verbund
Waren einzig nur der Grund
warum wir wurden getrennte Leut’.
Beschwerliche Jahre der Nomaderei
Verbracht in Mühsal, Plackerei
Endlich sah ich wieder ihr Gesicht.
Aber ach, es mir verändert war,
Der Vertrautheit lieber alter Tage bar.
So, wie ich es kannte, war es nicht.
Isabels Blick glitt über die Verse. Ihre Mundwinkel zuckten, halb voller wehmütiger Erinnerung an ihren Ehemann, halb schmerzlich. Es waren nicht die besten Zeilen, die er zeitlebens verfasst hatte, wirkten sie doch an manchen Stellen holprig, wie eilig niedergeschrieben. Und doch spiegelte nichts aus seiner Feder Richard Francis Burton und die Art, wie er gelebt hatte, besser wider als dieses Gedicht bis zu seinem letzten Vers.
Und nun nähert sich mein Leben dem Ende,
Wein, Frauen, Dinner, Karten und Freunde,
Nichts, was mich mehr trunken macht.
Ob ich mich dennoch zufrieden wüsste?
Oh ja. Hab mein Leben gelebt, Zeit gehabt, die beste,
erwarte nun die ew’ge Nacht.
Isabel Burton sann noch eine Weile über diese Worte nach, ehe sie zur
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