Unter dem Zwillingsstern
erika zu bleiben, nicht m ehr hatte ändern wollen.
»Es gibt keine Hei m kehr m ehr für m i ch«, hatte er erklärt, als sie über ihre eigenen Pläne sprach. »Ich habe m eine Erinnerungen an das Deutschland von früher, und es war schwer genug, sie in den letzten zwölf Jahren zu bewahren. W enn ich m it dir kä m e, wäre es un m öglich. Das Land ist zerstört, an See l e und Gestalt, und ich würde m i ch bei jedem Menschen, dem ich begegne, fragen, ob er m i ch vor ein paar Monaten noch getötet hätte. Ob er unter denen war, die m eine Freunde, m e ine Fa m ilie getötet haben. Aber das Schlim m ste«, schloß er leise, »das Schlim m s t e wäre, daß sie m i r leid tun würden. Und das wäre ein Verrat an ihr. An Käthe.«
Nach dem Ende des Kriegs in Europa Anfang Mai war es dem Roten Kreuz, dem nun die tadellos g e führten deutschen Verwaltungsakten m it all den sorgfältig bei E i nlieferung aufgelisteten Na m en zur Verfügung standen, endlich und überr a schend schnell m öglich gewesen, für sie herauszufinden, was m it Käthe und den übrigen internierten Staatenlosen, die sich nach der französischen Kapitulation noch im Lager Ledoux befunden hatten, geschehen war. W ohin m an sie gebracht hatte. Dennoch klam m erte Carla sich an einen kleinen Funken Hoffnung; Dachau lag in Deutschland, nicht in Polen, war keines der Vernichtungslager, von denen s i e genau wie jeder andere m ehr und m ehr erfuhr. Gewiß, nie m and hatte sich als Käthe Brod ge m eldet, ab e r n a ch de m , was sie geh ö rt hatte, w a ren die Hä f tli n ge in einem Zustand, der es schwer m acht e , sich an den eigenen N a m en zu erinnern. Kathi war der wichtigste Grund, warum sie darauf bestanden hatte, n i cht weiter in A m erika auf Nachrichten zu warten, sondern selbst nach Deutschland zu gehen.
Es gab noch andere Gründe. Für alle E m igranten stellte sich nun die Frage, ob sie zurückkehren w ollten, und die m eisten scheuten davor zurück, im Mom e nt jedenfall s , aber sie s p rachen dar ü ber, m it der alten Mischung aus Grauen und Sehnsucht.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Eddie Feiton zu ihr. »Dich und die anderen. Wohin wollt ihr schon zurückkehre n ? Ins Land der Mörder und Henker? Und erzähl m i r nicht, d a ß du nur nach deiner Lehrerin suchen willst, du weißt genau, daß sie tot ist, auch wenn du dir etwas anderes vor m achst. Du bildest dir ein, du könntest ein paar alte Freundschaften wieder auffrischen, richtig? Tut m i r leid, ich bin da konsequenter. W enn du das fertigbringst, dich wieder m it diesen Leuten zu verbrüdern, dann ist es m it uns vorbei.«
Sie ließ sich keine Ulti m aten s t e l len, obwohl sie nic h t wußte, ob sie es fertigbrächte. Es war nicht so ein f ach, nach Deutschland zu ko mm en, währ e nd der Krieg im Pazifik noch weiterging, aber für Sänger, Musiker und Schauspieler, die Tr u ppenbetreuung leisteten, war es möglich. Auf d e m Flug über den Atlan t ik f r agte sie ei n er i h rer Kollegen, ob es nicht eige n artig sei, in a m erikanis c her Uni f orm, als Teil des Unterhaltungsprogramms für a m erikanische Truppen, Besatzungstruppen, in ihre Hei m at z u rückzukehren. »Eigenartig« war kaum das richtige W ort. Doch sie hatte keine S chuldgefühle deswegen, nicht nach de m , was sie nun wußte, und sollten sich noch welche in den W i nkeln ihrer Psyche verborgen haben, so hatte sie der Besuch von Dachau en d gültig ausgebrannt.
W i e naiv sie gewesen w ar, trotz allem. Die Sch u ld, die s i e tatsächlich noch empfand, galt ihrem eigenen Überleben in W ohlstand und Sicherh e it, während Kathi tot wa r , Kathi und Millionen weite r er Menschen.
Dennoch, es war un m öglich, die Trümmer einer Stadt zu sehen, die ein m al ihre He i m at gewesen war, und nichts zu spüren. W arum, dachte sie, waru m ? Tod und Verwüstung, wo ein m al Leben und Schönheit gewesen war, und wesw e gen, wofür? Der W ahn s inn des Krieges ließ sie die Augen schließen, aber das half nicht, es verstärkte nur die unhei m liche Stille in einer Gegend, wo m an früher selten sein eigenes W ort verstanden hatte. Der Fahrer m einte, sie seien bald da, er habe nur Mühe, in dem C h aos die Sophienstraße zu finden.
Der Grund, warum m a n sie in das Hauptquartier der a m erikanischen Militärverwaltung in Bayern beordert hatte, lag darin, daß ein Gefangener auf einer Unterredung m it ihr bestand, bevor er seine Aussage m a chte. Es war dieser U m st and, der unerwarteterweise
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