Unter den Sternen von Rio
Junge betete seine Mutter an.
Caro drehte bei und überflog die Grenze zum brasilianischen Bundesstaat São Paulo, der sich damit brüstete, über eine Milliarde Kaffeesträucher zu besitzen. Sie orientierten sich bei ihrem Flug unter anderem an einer Bahnstrecke, auf der gerade ein Güterzug fuhr.
»Riechst du das?«, fragte António sie.
»Ja«, antwortete Caro, »was ist das? Schmort uns irgendetwas durch? Soll ich tiefer fliegen?«
»Ja, flieg tiefer«, wies António sie an. Erst als er ihren erschrockenen Blick wahrnahm, erklärte er: »Mit unserem Vogel ist alles in Ordnung. Ich glaube, der Geruch kommt von der Eisenbahn.«
Je tiefer sie sanken, desto deutlicher wurde, dass António mit seiner Vermutung recht hatte.
»Es riecht nach geröstetem Kaffee, köstlich«, meinte Caro. »Haben die eine Rösterei an Bord?«
»Es sind die Tausende Tonnen an unverkäuflichem Kaffee«, sagte António. »Sie verfeuern sie in den Eisenbahnen.«
»Ach du liebes bisschen.«
»Die Weltwirtschaftskrise ist auch hier schon angekommen.«
»Oh nein.« Was das zu bedeuten hatte, wollte Caro sich lieber gar nicht ausmalen.
»Brasilien wird davon nicht so stark betroffen sein wie andere Länder. Und die Luftfahrt wird darunter weniger leiden als andere Branchen – hoffe ich.«
»Und außerdem haben wir ja immer einander.«
»Egal, was kommt.«
»In guten wie in schlechten Zeiten.«
»Auf der Erde …«
»… wie im Himmel.«
Sie sahen einander an und lächelten.
»Wie im Himmel«, sagte Alfredinho, und dann lachten sie, alle vier.
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Der historische Hintergrund
U nter den Sternen von Rio« ist ein Roman mit fiktiven Figuren und erfundener Handlung. Dennoch habe ich einige historische Persönlichkeiten und Ereignisse mit einfließen lassen, da ich wie immer um geschichtliche Authentizität bemüht bin.
Die zwanziger Jahre waren auch in Rio de Janeiro wild. Mit dem nicht nachlassenden Strom von europäischen Einwanderern ging eine kulturelle und politische Vielfalt sowie eine Freizügigkeit einher, die man in Brasilien bis dato nicht kannte.
Die Strände im Süden des Zentrums (u.a. in Copacabana) wurden dank des Baus von Tunneln einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Der Flugpionier Alberto Santos-Dumont wurde als Nationalheld verehrt, genau wie die Fußballer, die 1922 die südamerikanische Meisterschaft in Rio für sich entschieden. Im selben Jahr – dem der 100 -jährigen Unabhängigkeit von Portugal – beschloss man, dieses Jubiläum mit dem Bau einer riesigen Christus-Statue zu krönen. Doch wirtschaftlich ging es turbulent zu: Die Exporte von Kaffee und Zucker waren starken Schwankungen unterworfen, und die brasilianische Preispolitik gipfelte schließlich darin, dass man Tausende Tonnen Kaffee vernichtete. Der Bau des »Cristo Redentor« verzögerte sich durch die Finanzkrise, die Statue wurde erst 1931 eingeweiht.
Die erste Sambaschule wurde übrigens 1928 gegründet – »Schule« wurde sie deshalb genannt, weil die Mitglieder dieser Vereinigung in der Nähe einer Grundschule übten. Erst 1932 gab es den ersten offiziellen Straßenumzug der Sambaschulen, zuvor waren es lose Verbände (
blocos
oder
ranchos
) von Karnevalsfans gewesen, die durch die Stadt zogen. Die Begeisterung für Fußball, Samba sowie alles Moderne – der in Rio leider allzu viele historische Bauten zum Opfer fielen – hat also Tradition in Brasilien.
Die beiden im Roman erwähnten Luxushotels, das »Hotel Glória« sowie das »Copacabana Palace«, gibt es dagegen bis heute, Letzteres ist schon beinahe so etwas wie ein Wahrzeichen von Copacabana, und das wiederum ist ein Stadtteil von Rio. »An der Copacabana« sagen viele Menschen fälschlicherweise, heißen müsste es aber vielmehr »am Strand von Copacabana«.
Das für die Strandpromenade von Copacabana charakteristische Wellenmuster aus schwarzen und weißen Pflastersteinen wurde tatsächlich bereits zu Beginn des 20 . Jahrhunderts gelegt, allerdings, genau wie in diesem Roman beschrieben, zunächst in einer anderen Richtung. Erst Anfang der dreißiger Jahre, nach einer Sturmflut, die große Teile der Promenade zerstörte, wurde das Wellenpflaster parallel zu den hereinrollenden Wellen des Atlantiks verlegt. Ihre heutige Form erhielt die Avenida Atlântica in den Siebzigern, als man sie auf sechs Fahrspuren verbreiterte, der gepflasterte Bürgersteig etwa doppelt so breit wurde wie zuvor und man den ursprünglich eher schmalen Strand aufschüttete, so
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