Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sturms Jagd

Titel: Sturms Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Zeit bis zum Beginn der Operation Schneesturm:
81:10:34
    Das Viertel war genauso schmutzig wie verrufen, und es war ihr bereits auf den ersten Blick anzusehen, dass sie nicht hierhergehörte. Trotzdem schien sie sich auszukennen, in der Gegend gleich hinter dem Güterbahnhof, denn jedes Mal, wenn sie an eine Kreuzung kam, wusste sie ohne zu überlegen, wohin sie ihre Schritte lenken musste.
    Die Luft war schwül und stickig. Unwillkürlich wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Was für ein Sommer! Selbst noch zu so später Stunde, kurz vor halb elf Uhr abends, wollte das Quecksilber einfach nicht unter 25 Grad fallen. Nicht die leiseste Brise bewegte den verbrauchten, abgasgeschwängerten Atem der Stadt. Trotz der Hitze trug sie schwere Motorradstiefel, deren Schäfte eine Handbreit unter dem Knie endeten und die ebenso wenig zur Witterung passten wie ihre schwarze Lederjacke, auch wenn deren Reißverschluss geöffnet war. Unter der Jacke kam ein schlichtes weißes T-Shirt zum Vorschein.
    Die Sohlen ihres schweren Schuhwerks stampften über den Bordstein, chromsilberne Schnallen blitzten im Neonlicht. Sie hatte glattes Haar, das ihr fast bis zur Hüfte reichte. Das sah aufregend aus, wenn sie es offen trug, doch an diesem Tag hatte sie es zu einem Zopf geflochten.
    Jemand pfiff ihr hinterher, ein Betrunkener rief ihr einen anzüglichen Kommentar zu. Die halb nackten Prostituierten, die überall vor den Nachtklubs paradierten und auf Freier warteten, fauchten sie an, sie solle gefälligst Leine ziehen. Ein ausgespuckter Kaugummi landete vor ihren Stiefelspitzen, schrilles Gelächter erklang. Sie ignorierte die Herausforderung. Kläffende Tölen bissen bekanntlich nicht.
    Endlich erreichte sie ihr Ziel, einen Nachtklub, der nicht weniger schäbig wirkte als alle anderen in dieser Gegend, dabei jedoch vorgab, etwas Besonderes zu sein. Äußeres Zeichen dieses vermeintlich elitären Status war eine bombastische Leuchtreklame, die vom Pflaster bis hinauf zum dritten Stock reichte. Man musste schon ein ziemliches Stück zurückgehen, um sie mit einem Blick erfassen zu können. Erst dann sah man, dass sie die Form einer Frau hatte – dargestellt im Micky-Maus-Stil –, die breitbeinig über dem Eingang stand. Ihre Beine steckten in knallroten Overknee-Stiefeln, dazu trug sie Hotpants und ein knappes Oberteil. Ihr Gesicht war das einer Katze, passend zum Namen des Etablissements: Pussycat-Bar .
    Die Eingangstür zur Pussycat-Bar befand sich genau zwischen den Beinen der riesenhaften Leuchtmieze, drei Stufen über dem Niveau der Straße. Zwei Türsteher, beide über ein Meter neunzig groß, ließen nicht jeden hinein, wobei ihre Wahl allerdings nicht besonders streng ausfiel. Bei ihnen befand sich ein dritter Mann, vermutlich ein gelangweilter Stammgast, der ununterbrochen redete. Auch in Sonnenstudios, Videotheken und an Tankstellen, die belegte Brötchen und Kaffee verkauften, fand man regelmäßig solche Streuner, die einfach nur herumlungerten und aus unerfindlichen Gründen nichts Besseres zu tun hatten, als das jeweilige Personal zu nerven.
    Kaum hatte sie den Fuß auf die unterste Stufe gesetzt, als über ihr die Konturen der Türsteher auftauchten, die sich gegen das Neonrot der Leuchtreklame abzeichneten. Die Kerle trugen schwarze Sakkos mit hochgeschobenen Ärmeln, darunter T-Shirts. Einer war mit einem halben Dutzend Goldketten behängt, auffallendstes Merkmal seines Kollegen war ein kantiger Schädel mit blank polierter Glatze. Wären die Typen nicht so breit gewesen, hätte man unweigerlich über sie lachen müssen, denn sie sahen aus wie Karikaturen, die jedes gängige Klischee bedienten, das es von Türstehern gab.
    »Kein Zutritt!«, schnarrte der Glatzkopf. Er stellte sich ihr in den Weg. Im Hintergrund kicherte der Streuner.
    Sie warf den Kopf in den Nacken, um eine vorwitzige Haarsträhne in die Schranken zu weisen, die sich aus dem Zopf befreit hatte und ihr ins Gesicht gefallen war. Die künstliche Beleuchtung machte es schwierig, die Farbe ihres Schopfes zu erkennen. Vielleicht lag sie irgendwo zwischen dunkelbraun und kastanienrot.
    »Ich möchte mit Jo sprechen«, sagte sie.
    Die Türsteher setzten ein außerordentlich törichtes Grinsen auf. Ihr Anblick schien sie endlos zu amüsieren.
    »Ich möchte mit Jo sprechen«, äffte der Glatzkopf.
    »Ist dir nicht zu warm in der Lederkutte und den Stiefeln?«, erkundigte sich der Typ mit den Goldketten. »Bist wohl so ’ne Art

Weitere Kostenlose Bücher