Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Lage sein, sie an andere weiter zu geben? Und dass Gewalt neuerlich Gewalt erzeugt, ist ja wohl eine Binsenweisheit.“
„Gerade dann, wenn wir selber Unrecht erfahren haben, müssten wir doch besonders sensibel für dieses Thema sein“, folgerte Leng.
„Schön wär’ s“, war alles, was Prado dazu einfiel..
„Wir werden doch jeden Tag von den Massenmedien mit Horrornachrichten versorgt“, sagte Susanne nachdenklich, „was leider auch bei mir zu einem gewissen Abstumpfungseffekt geführt hat; aber immer dann, wenn es um Gewalt gegen Kinder geht, könnte ich zur Furie werden. Ich verstehe nicht, was in den Köpfen von Menschen wie Riegert und Burghausen vor sich geht.“ Bei dem letzten Satz war sie auf einmal sehr laut geworden, was einige der anderen Gäste dazu brachte, neugierig zu ihr hinüber zu schauen.
Leng unternahm den Versuch, eine Antwort darauf zu geben. „Ich habe mich schon etlic he Male mit Psychologen, Psychoanalytikern und Sozialwissenschaftlern unterhalten, aber auch deren Erklärungen schienen mir immer unzureichend. Außerdem wichen sie zum Teil erheblich voneinander ab.“
„Gab es denn auch Gemeinsamkeiten“, hakte Susanne nach. „Du weißt schon: schwere Kindheit, Verwahrlosung, sexueller Missbrauch.“
„Jeder Fall ist natürlich individuell zu betrachten“, antwortete Leng. Wir wissen durch unsere Arbeit, dass sich jeder Mord, auch wenn er einem bestimmten Muster zu folgen scheint, von anderen unterscheidet. Natürlich ähneln die Motive einander oft, aber es wäre zu einfach, Raubmord mit bloßer Gier erklären zu wollen oder Totschlag mit Eifersucht. Die Ursachen liegen sicherlich, wie Stefanie Burghausen so treffend formuliert hat, unter der Haut.
Bei kindlichem Missbrauch müssen wir eine deutliche Trennlinie ziehen zwischen organisierter Päderastie, bei dem die Opfer bloße Ware sind, mit der sich viel Geld verdienen lässt und die Händler deshalb auch überhaupt keine Probleme damit haben, über Leichen zu gehen und der sexuellen Gewalt in der eigenen Familie, deren Auslöser in einer emotionalen Störung der Täter zu suchen sind. Vielleicht sind sie Opfer rigider Moralvorstellungen in der eigenen Familie, in der sich die kindliche Sexualität nicht frei entfalten durfte, sondern einer permanenten Kontrolle unterlag. Solche Menschen können auch als Erwachsene keine gleichberechtigten Partnerschaften eingehen, sondern folgen den erlernten Mustern.“
„Weshalb sie kleine Kinder missbrauchen, weil sie diese kontrollieren können?“ fragte Susanne ungläubig.
„Weil sie in einigen Punkten ihrer seelis ch geistigen Entwicklung selber noch wie Kinder sind“, erklärte Leng.
„Plädierst du etwa für e ine milde Strafe im Falle von Kindesmissbrauch, weil Täter und Opfer einander ähnlich sind?“ Prados Gesicht war rot vor Zorn, die hervorgetretenen Adern an seinem Hals pulsierten deutlich sichtbar, so als ob sie jeden Moment zu platzen drohten.
„Wie lange kennst du mich schon?“ Lengs in ruhigem Ton vorgetragene Frage erzielte die gewünschte Wirkung. „Du weißt doch genau, was ich von Leuten halte, die sich an Kindern vergehen. Trotzdem hilft es keinem weiter, wenn wir unser Augenmerk ausschließlich auf die Bestrafung richten. Wir müssen die Ursachen suchen für solche Vergehen, damit wir dann vielleicht eine Möglichkeit finden, Dinge schon im Vorfeld zu verändern. Ihr seht“ -er wandte sich nun auch wieder an Susanne-, „es läuft immer auf Liebe und Respekt hinaus, mit denen wir uns begegnen sollten.“
„Dann wird sich sicherlich nie was ändern“, schlussfolgerte Prado.
„Ich hoffe, dass du dich da irrst“, entgegnete seine Frau.
„Es wird sicher wieder bessere Tage geben“, sagte Leng abschließend. „Ich werde später noch ins Herbrand’ s fahren und daran arbeiten.“
Nachwort
Die im Buch erwähnten Bänke am Seerosenteich im Mediapark existieren in Wirklichkeit gar nicht. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum die Stadtverwaltung an einem so be-schaulichen Ort ihren Bürgern keine Möglichkeit einräumt, zu verweilen und mitten in der Großstadt ein wenig der Hektik des Alltags zu entfliehen. Es müsste doch möglich sein, mit einem relativ kleinen Betrag vielen eine Freude zu machen, anstatt große Summen in Projekte zu investieren, von denen nur wenige profitieren
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