Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
kühl in dem kleinen Raum, denn die Heizung spendete nur wenig Wärme.
»Entschuldigst du mich für einen Moment?«, fragte sie. »Ich ziehe mir schnell etwas an.«
»Ich … ich sollte jetzt besser gehen.«
»Nein«, Alex legte bittend ihre Hand auf seinen Arm, »bitte nicht. Bleib noch einen Moment hier.«
Nick dachte an Oliver Skerritt. Es war nicht richtig, dass er hier war.
»Alex«, sagte er deshalb, »ich möchte nicht …«
»Warte noch einen Moment«, unterbrach sie ihn, »bitte. Ich bin sofort wieder da.«
»In Ordnung«, Nick zögerte noch, aber dann nickte er. Alex verschwand in dem kleinen Bad. Sie schlüpfte in ein Sweatshirt und eine Jogginghose, föhnte ihr nasses Haar. Als sie nach ein paar Minuten in das Zimmer zurückkehrte, lag Nick auf dem Bett und schlief tief und fest. Alex betrachtete ihn und empfand eine tiefe Zärtlichkeit für ihn. Sollte sie ihn aufwecken? Nein. Er war so müde und erschöpft. Vielleicht konnte er wenigstens für ein paar Stunden schlafen und etwas Erholung finden. Sie zog ihm vorsichtig Schuhe und Krawatte aus und breitete die Decke über ihn. Dann setzte sie sich auf den Boden, lehnte sich an die Wand und schlang ihre Arme um die Knie. Hier waren sie also angelangt. Nick Kostidis, einer der mächtigsten und bekanntesten Männer der Stadt und Alex Sontheim, der Star der Wall Street, clever und intelligent. Wie Ikarus, der zu hoch hinausgewollt hatte, waren auch sie abgestürzt in das finsterste Tal der Hoffnungslosigkeit. Was war jetzt noch übrig vom Ruhm, vom Erfolg? Ihr Ehrgeiz hatte sie beide einsam gemacht. Alex konnte kaum noch verstehen, was sie dazu getrieben hatte, 100 Stunden in der Woche zu arbeiten. War das wirklich so lebenswichtig gewesen? Vom betörenden Gefühl des Erfolgs war nicht mehr übrig geblieben als ein schaler Beigeschmack. Vor lauter Ehrgeiz hatte sie nicht sehen wollen, was sich hinter der glänzenden Fassade von Erfolg und Ruhm wirklich verbarg, hatte vor der Kehrseite der Medaille die Augen verschlossen. Sie hatte jede Warnung überhört. Alex dachte an Mark und Justin und an Oliver, der ihr seine Liebe gestanden hatte. Sollte sie mit ihm nach Maine gehen? In diesem Augenblick bewegte Nick sich. Er sah im Schlaf so entspannt und friedlich aus, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Er war kein Fremder mehr für sie, wie es Sergio immer geblieben war, und das hatte nichts mit ihrer gemeinsamen Liebesnacht zu tun. In jener Nacht hatte ihre Freundschaft lediglich eine neue Dimension bekommen. In Nicks Gegenwart fühlte Alex sich geborgen und getröstet, sie vertraute ihm, wie sie noch keinem Menschen zuvor vertraut hatte, und sie scheute sich nicht davor, ihm ihre Schwächen zu zeigen. Bei Nick musste sie keine Rolle spielen, sie musste nicht stark und kalt sein, sondern sie durfte ganz so sein, wie sie wirklich war. Und obwohl Alex wusste, dass sie ihn liebte, war ihr bewusst, dass eine breite Kluft sie trennte. Zwischen ihr und Nick Kostidis stand ganz New York City. Sie musste dieser Stadt den Rücken kehren, wenn sie eine Zukunft haben wollte, und genau das konnte Nick nicht tun. Ihn band viel mehr an diese Stadt als ein bloßes Versprechen, das er seinen Wählern gegeben hatte. Auch wenn er eines Tages nicht mehr der Bürgermeister von New York City sein würde, würde er New York niemals verlassen. Die Stadt war sein Leben, das hatte Alex längst begriffen. Die Uhr zeigte kurz vor Mitternacht, als ihr vor Müdigkeit fast die Augen zufielen. Sie löschte das Licht und nur der helle Schein des Mondes am Nachthimmel warf einen schwachen Lichtschein in den kleinen Raum. Alex hob die Decke und schlüpfte zu Nick ins Bett. Sie spürte die tröstliche Wärme seines Körpers und als er sich im Schlaf bewegte, schlang sie einen Arm um ihn und schmiegteihren Kopf an seine Schulter. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, wach zu bleiben, um diese kostbaren Stunden, in denen sie ihn ganz für sich allein hatte, auszukosten, war sie nach wenigen Minuten eingeschlafen.
***
Sergio Vitali saß zwischen einer monegassischen Prinzessin und Cassandra Goldstein, der Witwe des Milliardärs Simon Goldstein und war ausgezeichneter Stimmung. An seinem Tisch saßen neben dem New Yorker Baulöwen Charlie Rosenberg der Ölmulti James Earl Freyberg III, Oliver Kravitz, Staatsminister im Innenministerium in Washington, die Senatoren Ted Willings und Fred Hoffman, Gouverneur Rhodes, der Kongressabgeordnete Wynn Wyman, der Herausgeber des TIME-Magazin Carey
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