Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Medienrummel, die Attacken der Verteidiger, die alles daransetzen werden, dich lächerlich und unglaubwürdig zu machen.«
»Das macht mir nicht aus«, Alex ließ seine Hand los, »im Gegenteil, es wird mir eine Genugtuung sein. Er hat mich so tief verletzt und gedemütigt, dass alles in mir nach Rache schreit. Es kann nicht schlimmer sein als das, was er mir angetan hat. Irgendetwas in mir drin ist zerbrochen. Für immer. Was soll noch passieren?«
Sie schauderte.
»Dir ist kalt«, bemerkte Nick, »lass uns hineingehen.«
Sie standen auf und gingen langsam und schweigend zu den Klostergebäuden. Als sie den Seiteneingang der Kirche erreicht hatten, blieb Alex stehen. Es war mittlerweile fast dunkel.
»Sehen wir uns noch einmal?«, fragte sie. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß in ihrem blassen, schmalen Gesicht. Er dachte an Oliver Skerritt, wie er mit ihr vorhin auf der Bank gesessen und den Arm um sie gelegt hatte.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, erwiderte er deshalb.
»Ich möchte dich aber noch einmal sehen«, flüsterte sie.
»Okay«, sagte Nick nach kurzem Zögern, »ich muss noch zu Pater Kevin, aber es wird nur eine Stunde dauern.«
Sie betraten die Klosterkirche. Ein leichter Geruch nach Weihrauch und Tannenzweigen lag in der Luft und erinnerte daran, dass in wenigen Tagen Weihnachten war. Die Schritte eines alten Jesuitenpaters hallten auf dem blanken Marmorboden der Kirche. Hinter dem Hochaltar bogen sie in das Seitenschiff der Kirche ein und betraten durch eine kleine Pforte den Kreuzgang, der die Kirche mit den Klostergebäuden verband. Dort trennten sich ihre Wege. Auf dem Weg in das Zimmer, das sie im Kloster bewohnte, dachte Alex an Sergio. Heute Abend war sein großer Tag. Im letzten Jahr hatte sie ihn auf diesen Ball begleitet und sie erinnerte sich lebhaft an das glanzvolle Fest. Wie hochmütig und selbstsicher sie damals gewesen war! Ihre Erfolge waren ihr zu Kopf gestiegen und sie hatte wirklich geglaubt, es werde immer so weiter gehen. Und Sergio … Sie fröstelte, als sie an ihn dachte. Wahrscheinlich würde er sich gerade in diesem Moment auf den Weg in das St. Regis machen, gut aussehend, tadellos gekleidet und bester Laune, ohne zu ahnen, was ihn an diesem Abend erwartete. Oder ahnte er doch bereits etwas? War irgendwo etwas durchgesickert? War er vielleicht gewarnt worden und nun mit seinem Jet auf dem Weg nach Südamerika oder Europa? Alex wurde kalt bei dem Gedanken, dass er womöglich wieder entkommen sein könnte. Solange er auf freiem Fuß war, würde sie nirgendwo sicher sein. Auch hier nicht, hinter den dicken Klostermauern.
***
Sergio Vitali stand auf der Empore des großen Ballsaales und blickte sich zufrieden um. Der große Wohltätigkeitsball, den die von ihm ins Leben gerufene Stiftung VitalAid in diesem Jahr zugunsten behinderter Kinder veranstaltete, war ein voller Erfolg. Es war nun bereits der 15. Ball dieser Art. Mit jedem Jahr wurde er prachtvoller und die Einladungen begehrter. Der Ball der VitalAid- Stiftung war ohne Zweifel einer der Höhepunkte der New Yorker Wintersaison und es hatte auch diesmal kaum Absagen gegeben. Wer in New Yorks Gesellschaft etwas gelten wollte, gierte nach einer der knapp tausend Einladungen. Sergio lächelte. Auch wenn sich Sharon Capriati als Zicke herausgestellt hatte, war sie doch wahrhaftig eine Meisterin ihres Fachs. Innerhalb von nur 48 Stunden hatte sie die perfekte Illusion geschaffen: Verschneite Pavillons und Wäldchen, Eisskulpturen, Millionen kleiner Lichtchen und Kerzen hatten den großen, aber wenig reizvollen Ballsaal, das Foyer und die Nebenräume in ein Wintermärchen verwandelt. Die 946 Gäste, unter ihnen bekannte Film-und Fernsehstars, berühmte Sportler, Models, Popmusiker, Mitglieder des europäischen Hochadels und die Spitzen aus New Yorks Politik- und Finanzwelt, amüsierten sich prächtig. Selbst aus Washington D. C. und Albany waren Gäste eingetroffen, die in den eigens für sie angemieteten Luxussuiten des St. Regis übernachteten, wenn sie überhaupt zu Bett gingen. Das Buffet bog sich unter den erlesensten Köstlichkeiten, die die Chefköche des hoteleigenen Nobelrestaurants Lespinasse hergerichtet hatten, und der teuerste französische Champagner sprudelte aus einem Brunnen im Foyer. Es kümmerte Sergio Vitali wenig, dass Vincent Levy in diesem Jahr nicht auf dem Ball war. Auch Clarence Whitewater fehlte und bedauerlicherweise auch Nelson van Mieren, aber das war eben der Lauf der
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