Unter Korsaren verschollen
Heimathafen des Schiffes.
Drei glückliche Menschen liegen in bequemen Stühlen auf Deck: Luigi Parvisi, seine Frau Raffaela und das Bübchen Livio.
Kein Wölkchen im satten Blau des Himmels. Da und dort lugen schon schüchtern einige Sterne hervor. Blaß noch und unendlich fern sind sie.
Kapitän Civone hat soeben mit dem Glas den Horizont abgesucht. Keine Mastspitze ist zu sehen. Ein Wetterum-schlag ist auch nicht zu befürchten. Es wird schön bleiben. Der Schiffsführer atmet erleichtert auf. So kann er sich also sein tägliches Plauderstündchen mit den Parvisis gönnen. Er braucht ihr unbeschwertes Geplauder; denn schwere Sorgen belasten ihn.
Viele Male ist er den Kurs, den das Schiff jetzt nimmt, gefahren, und dennoch fürchtet er sich immer von neuem. Man würde Signore Civone Unrecht tun, ihn gänzlich verkennen, wollte man in ihm einen Feigling sehen, aber das Mittelländische Meer, eines der schönsten der Erde, ist zugleich das gefährlichste. Nicht seiner natürlichen Tücken wegen; nicht, weil es ab und zu von gewaltigen Stürmen aufgewühlt wird, daß die Wellen das Deck zu vernichten drohen; auch nicht, weil Untiefen, Klippen und Riffe in Küstennähe die Reise gefährlich machen. Mit all dem weiß er fertig zu werden, denn er ist ein guter Seemann. Nein, nicht deshalb. Wegen der Menschen, die es beherrschen. Das Mittelländische Meer vom Frühling bis in den Herbst hinein zu kreuzen, ist ein Wagnis sondergleichen, ein Lotteriespiel. Nie weiß man, ob die Reise nicht in Tod oder Sklaverei endet. Herren auf dem Meer sind nicht die anliegenden europäischen Nationen – Frankreich, Spanien oder die italienischen Staaten –, sondern die nordafrikanischen Herrscher, der Dey von Algier – Türke –, der Pascha von Tunis – Türke
–, der Pascha von Tripolis – Türke. Mit ihren Piraten-schiffen machen diese Fremden, deren Heimat der Osten des Meeres ist, Jagd auf jeden Segler, dessen Staat nicht jährlich durch riesige Tribute die Schiffe vor dem Zugriff der Korsaren geschützt hat. Genua ist seit Jahren Teil des französischen Kaiserreichs, es genießt für sich und seine Schiffe den gleichen Schutz wie die echten französischen Kauffahrer. Aber – des Kaisers unantastbar scheinende Macht ist durch die Schläge des russi-schen Generals Kutusow ins Wanken geraten. Der Korse muss alle Anstrengungen machen, die überall aufflam-menden Gärungen niederzuhalten. Das Mittelmeer wird ihm im Augenblick unwichtig erscheinen. Wenn die Korsaren die Lage auszunützen verstehen… Civone spuckt verärgert aus.
Raffaela Parvisi nimmt gerade den kleinen Livio auf den Schoß. Der Junge, der vor kurzem noch so munter schwatzte, ist eingeschlafen. Er lächelt. Sicherlich träumt der kleine Mann. Luigi Parvisi betrachtet liebevoll die beiden Menschen, die ihm die nächsten und teuersten sind. Auf den Knien hält er ein dünnes Brett mit einem Stück Zeichenpapier.
Der Schiffsführer tritt hinzu. Er blickt Parvisi, der ihn noch nicht bemerkt hat, über die Schulter. »Ausgezeichnet, Signore Parvisi! Sie sind ein Künstler!«
»Meinen Sie?« entgegnet Luigi lächelnd und wendet sich dem Kapitän zu.
»Im Ernst! Ich verstehe zwar nur wenig von der Kunst, aber es will mir scheinen, als ob nur ein wahrer Künstler solch ein Bild malen kann.«
»Wollen Sie sich nicht wie immer ein wenig zu uns setzen«, fordert die junge Frau den alten Seemann auf.
»Das Licht nimmt sowieso ab, so daß mein Mann den Stift zur Seite legen muß. Wir würden uns freuen, ein Stündchen in Ihrer Gesellschaft verbringen zu können.«
»Ich danke Ihnen. Sie haben meinen Wunsch erraten.«
Civone zieht den Stuhl, auf dem vorher der kleine Livio gesessen hat, heran und holt seine Pfeife hervor. Verlegen dreht er sie in der Hand. Bevor er die Frau um die Erlaubnis bitten kann, rauchen zu dürfen, gibt sie ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, daß sie nichts dagegen habe.
Luigi hat unter der fertigen Skizze ein neues Blatt her-vorgeholt. Mit schnellen, sicheren Strichen hält er den schlafenden Jungen fest. Es ist nur ein Entwurf. Morgen wird er ihn ausführen.
Nur wenige Minuten sind seitdem vergangen. Kapitän Civone ist inzwischen mit dem Stopfen der Pfeife fertig geworden und stößt die ersten Rauchwolken heraus.
Luigi legt sein Zeichengerät zur Seite.
»Ich möchte eine Bitte aussprechen, Herr Kapitän«, beginnt Parvisi die Unterhaltung.
»Lassen Sie hören. Wenn es möglich ist, werde ich sie gern
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