Unter Verdacht
Im Zimmer plumpste Karen nur noch aufs Bett.
Und nun? Sylvia überlegte. Sie konnte Karen nicht einfach so liegenlassen. Sie musste ihr wenigstens die Schuhe und den Blazer ausziehen. Als sie das zustande gebracht hatte, stupste sie Karen kräftig an den Schultern.
»Karen! Zieh bitte die Hose aus.«
Karen murmelte etwas, das Sylvia nicht verstand. Doch sie knöpfte die Hose auf, stemmte sich hoch, zottelte am Bund und strampelte schließlich mit den Beinen, um sich so dem Wust an ihren Füßen zu entledigen. Sylvia half, indem sie an den Hosenbeinen zog. Dann knöpfte sie Karens Bluse auf. Karen trug darunter nur ein dünnes Seidenhemd, keinen BH. Sylvia rollte Karen von einer Seite auf die andere und hatte schließlich die Bluse in der Hand.
Karen zog die Decke zu sich heran, schlug ein Bein darüber und drehte sich auf die Seite. Im nächsten Moment schlief sie auch schon.
Sylvia legte lächelnd Karens Sachen zusammen. Ein Gedanke blitzte in ihr auf. Eine völlig absurde Idee, wie sie sich selbst schalt. Du musst verrückt sein! Aber der Gedanke saß fest: Karen würde morgen früh wahrscheinlich einen Blackout haben. Zumindest einen kleinen Filmriss. Was wäre, wenn . . .
Sylvia zog sich aus. Vorsichtig legte sie sich neben Karen und schob sich zu ihr unter die Decke.
35.
I n Karens Kopf summte es, als befände sich darin ein ganzer Bienenschwarm. Eine der Cocktailkirschen gestern Abend war wohl schlecht, dachte sie zerknirscht.
Sie wollte ihre Hand zum Kopf heben, um sich die Schläfen zu reiben, stieß jedoch statt dessen mit dem Ellenbogen irgendwo an. Sie fluchte leise. Hotelbetten! Eng und unbequem! Doch dann stutzte sie. Sie war an etwas Weiches gestoßen! Eine Wand oder Bettkante wäre hart. Woran war sie gestoßen?
Karen hob vorsichtig den Kopf – und starrte entgeistert auf Sylvias nackte Schultern sowie deren Rücken, der sich unter der Bettdecke verlor. Was bedeutete das? Ein kleiner Kobold in Karen antwortete: Na, so viele Möglichkeiten gibt es da wohl nicht. Ihr habt wohl kaum »Mensch ärgere dich nicht« gespielt.
Jetzt drehte sich Sylvia auf die andere Seite, und Karen konnte in ihr entspanntes Gesicht sehen. Zumindest scheint sie keine Alpträume zu haben, dachte Karen. Sie stand leise auf und ging ins Bad. Zum ersten Mal in ihrem Leben tat sich Karen die Folter an, kalt zu duschen. Sie brauchte so schnell wie möglich einen klaren Kopf. Der Wasserstrahl prasselte in ihr Gesicht.
Als sie, in ein Badehandtuch gewickelt, wieder in das Zimmer trat, saß Sylvia, eingehüllt in der Decke, hellwach im Bett.
»Guten Morgen.« Karen fühlte, wie Röte in ihr Gesicht stieg.
»Guten Morgen.« Sylvia lächelte nicht minder verlegen.
Pause. Karen räusperte sich umständlich. Sie wusste nicht, wie sie beginnen sollte. »Hast du gut geschlafen?« fragte sie vorsichtig.
»Ja, sehr gut«, erwiderte Sylvia leise.
Gut! Wenigstens ist sie nicht sauer, dachte Karen. Fluchtgedanken scheinen sie auch nicht zu treiben.
Karen bemühte sich krampfhaft, irgendwelche Erinnerungen an den letzten Abend auszugraben. Doch der Faden verlor sich immer wieder in der Hotelbar.
Zögernd ging sie zu Sylvia, setzte sich aufs Bett. »Sylvia, es ist mir wirklich megapeinlich, aber ich . . . ich erinnere mich nicht, was passiert ist. Andererseits . . .«, Karen biss sich auf die Lippe, »andererseits ist die Situation wohl ziemlich eindeutig.«
Sylvia musste sich ein Grinsen verkneifen. Karen befand sich mächtig in der Bredouille.
»Verdammt!« Karen sprang auf und lief im Zimmer auf und ab. »Wie konnte das passieren?«
Dann kam sie zurück und setzte sich erneut neben Sylvia. »Entschuldige. Es ist schließlich nicht deine Schuld. Zumindest gehe ich davon aus . . . Was . . . Wie ist es denn passiert?«
Sylvia spielte einen Moment mit dem Gedanken, Karen die Wahrheit zu sagen. Dass gar nichts passiert war, dass sie ihr einen Streich gespielt hatte. Einen ziemlich schlechten. Aber dann fürchtete sie sich vor Karens Reaktion. Was, wenn sie wütend wurde, sich ihr wieder verschloss? Jetzt, wo Karen glaubte, sie hätten miteinander geschlafen, gab es keinen Grund mehr für sie, an ihr zu zweifeln. Nicht, wenn sie Karen jetzt zeigte, dass sie diese Nacht nicht bereute.
Stockend begann Sylvia zu erzählen. »Ich habe dich von der Hotelbar auf dein Zimmer gebracht und dich ins Bett verfrachtet. Als ich gehen wollte, hast du mich festgehalten und wolltest partout nicht loslassen, bis ich dir einen
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