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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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der Aum-Sekte? Was verstörte mich an ihnen so?
    Ich habe hierzu eine Hypothese. Das »Aum-Phänomen« verunsichert gerade deshalb, weil es eben doch etwas mit uns zu tun hat. Es ist wie ein Spiegel, aus dem uns unser verzerrtes Abbild entgegengrinst und uns sozusagen ein scharfes Messer an die Kehle setzt. Die Hare Krishnas und andere neue Religionen können wir sofort (noch ehe sie richtig in unser Bewusstsein vorgedrungen sind) als bedeutungslos einordnen. Bei der Aum-Sekte war das aus irgendeinem Grund nicht der Fall, und weil ihre Gegenwart (ihr Auftreten, ihr Tanz, ihr Gesang) aktiv und bewusst verdrängt werden musste, verunsicherte sie uns so sehr.
    Psychologisch gesehen (ich werde die Psychologie nur dieses eine Mal bemühen, sehen Sie es mir also nach) verweisen Bilder, die in uns starkes physisches Unbehagen hervorrufen, in Wirklichkeit häufig auf eigene Fehler und Schwächen. Vielleicht würde das meine spontane Abneigung vor dem Bahnhof erklären.
    Natürlich behaupte ich nicht, dass Sie oder ich unter Umständen auch der Aum-Sekte beigetreten wären und Sarin in der U-Bahn freigesetzt hätten. Das wäre unrealistisch und zu weit hergeholt. Ich will damit nur sagen, dass etwas von Aum auch in uns existieren muss, um eine so bewusste Ablehnung zu provozieren. Vereinfacht gesprochen, wären »sie« dann ein verzerrtes Spiegelbild von »uns«.
    Nun ist ein Spiegelbild natürlich stets unscharf und schief. Konvex und konkav, richtig und falsch, Licht und Schatten tauschen die Plätze. Doch wenn man das Unscharfe und Verzerrte beiseite lässt, haben die beiden Bilder große Ähnlichkeit und passen teilweise genau aufeinander. Deshalb vermeiden wir es – bewusst oder unbewusst –, dieses Spiegelbild genauer zu betrachten, und sehen lieber über die Unstimmigkeiten seiner Oberfläche hinweg. Wir verbannen die Schatten in ein unterirdisches Reich in unserem Inneren und tragen sie dort mit uns herum.
    3  Das weitergereichte Ich
    Hier ein Zitat aus dem Manifest des Unabombers, das 1995 in der New York Times veröffentlicht wurde.

    Das System organisiert sich stets um, um Druck auf diejenigen auszuüben, die sich nicht anpassen. Die sich nicht in das System einfügen, gelten als »krank«; sie zu »heilen« heißt, sie zur Anpassung zu zwingen. So wird jedes Streben nach individueller Autonomie gebrochen und das Individuum in einem systemkonformen Prozess der Gesellschaft einverleibt. Individuelle Autonomiebestrebungen werden als Krankheit eingestuft. 22

    Interessanterweise entspricht die Vorgehensweise des Unabombers fast genau derjenigen der Aum-Sekte (zum Beispiel schickte Aum eine Paketbombe ins Tokyoter Rathaus). Theodore Kaczynskis Ideen sind Aums Ideologie sogar noch enger verwandt als seine Methoden.
    In ihren Grundzügen ist Kaczynskis Argumentation nicht falsch. Viele Segmente des gesellschaftlichen Systems zielen tatsächlich darauf ab, individuelle Autonomie zu verhindern; viele Menschen werden von ihrer Umgebung daran gehindert, ein freies Leben entsprechend ihren Wertvorstellungen zu führen.
    Aus der Perspektive der Aum-Anhänger betrachtet, war es tatsächlich so, dass sie, als sie eine gewisse Autonomie zu behaupten versuchten, vom Staat als gegen die Gesellschaft gerichtete Bewegung und auszumerzende »Krankheit« klassifiziert wurden. Ihre zunehmend antisoziale Haltung war zum Teil eine Folge davon.
    Dennoch hat Kaczynski – wissentlich oder unwissentlich – einen entscheidenden Aspekt übersehen: Autonomie kann nur im Wechselspiel mit gesellschaftlicher Eingebundenheit entstehen. Das eine existiert nicht ohne das andere. Setzt man einen Säugling allein auf einer Insel aus, erwächst für ihn daraus keine Autonomie. Letztlich stehen die beiden Zustände in einer konstanten Wechselbeziehung, die so unauflöslich ist wie die von Licht und Schatten. Jeder Mensch sieht sich zunächst mit der Aufgabe konfrontiert, experimentell seinen Platz als Individuum in der Welt zu entdecken. Diese Art des Experimentierens könnte man als »Objektivierung des Ichs« bezeichnen und als die wahre Initiation ins Leben. Wem diese Entwicklung eines ausgeglichenen, aber flexiblen Ichs nicht gelingt, der bleibt in gewisser Weise behindert (wie es vielleicht bei Shoko Asahara der Fall war). Der Versuch, diese Behinderung mit Hilfe eines selbst gebastelten Systems zu überwinden, kann auf einen Konflikt zwischen dem gesellschaftlichen System und dem Individuum hinauslaufen.
    Meiner persönlichen Ansicht nach

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