Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
PROLOG
Der Wahnsinn dabei war, daß es keinen besseren Tag zum Fliegen hätte geben können. Der Januarhimmel war grell und so blau, daß man ihn kaum ansehen konnte. Unbegrenzte Sicht. Eine kühle, harmlose Brise wehte aus nördlicher Richtung.
Der Flugverkehr war mäßig bis dicht für diese Tageszeit, aber das Bodenpersonal arbeitete effektiv, und die Flugpläne wurden eingehalten. Nur wenige Maschinen warteten darauf, daß die Startbahn für sie freigegeben wurde.
Es war ein ganz gewöhnlicher Freitagmorgen auf dem internationalen Flughafen von San Antonio. Den Passagieren des AireAmerica-Fluges 398 war es höchstens unangenehm, daß es auf den letzten eineinhalb Kilometern der Hauptverkehrsader vor dem Flughafen wegen Straßenbauarbeiten einen Stau gegeben hatte.
Die siebenundneunzig Passagiere kamen rechtzeitig an Bord, verstauten ihr Handgepäck in den Gepäckfächern über ihren Köpfen und machten es sich mit Büchern, Zeitungen und Zeitschriften in ihren Sitzen bequem. Die Crew im Cockpit erledigte routiniert den letzten Checkup vor dem Start. Die Flugbegleiter erzählten sich Witze, während sie Getränkewagen beluden und Kaffee kochten, der nie ausgeschenkt werden würde. Dann wurde die Gangway zurückgeschoben. Das Flugzeug rollte zur Startbahn.
Die freundliche Stimme des Flugkapitäns ertönte über Lautsprecher und teilte den Passagieren mit, daß der Start unmittelbar bevorstand. Dann berichtete er noch, daß die augenblicklichen Wetterverhältnisse über ihrem Zielflughafen Dallas ausgezeichnet seien, und forderte die Besatzung und die Passagiere auf, sich zum Start anzuschnallen.
Niemand an Bord ahnte, daß der Flug 398 nur weniger als dreißig Sekunden in der Luft bleiben würde.
»Irish!«
»Hmm?«
»Beim Flughafen hat es gerade einen Absturz gegeben.«
Irish McCabe sah plötzlich auf. »Abgestürzt?«
»Es hat Feuer gefangen. Am Ende der Startbahn herrscht ein wahres Inferno.«
Der Nachrichtendirektor sprang trotz seines Alters und seiner untrainierten Verfassung erstaunlich behende hinter seinem unordentlichen Schreibtisch hervor und hastete durch die Tür seines kleinen, mit Glaswänden abgeteilten Büros, wobei er fast den Reporter umrannte, der ihm den Zettel aus dem Nachrichtenraum gebracht hatte.
»Beim Start oder bei der Landung?« fragte er im Laufen.
»Unklar.«
»Überlebende?«
»Unklar.«
»Linienflug oder Privatmaschine?«
»Unklar.«
»Zum Teufel, seid ihr überhaupt sicher, daß es einen Absturz gegeben hat?«
Eine Gruppe von Reportern, Fotografen, Sekretärinnen und anderen hatte sich mit ernsten Gesichtern schon bei der Reihe von Polizeifunkgeräten eingefunden. Irish stieß sie zur Seite und drehte an einem Lautstärkeknopf.
»... Startbahn. Zur Zeit kein Zeichen von Überlebenden. Die Flughafenfeuerwehr rast auf das Feuer zu. Überall Rauch und Flammen. Hubschrauber kreisen. Rettungswagen sind auf –«
Irish brüllte Anordnungen, deren Lautstärke die Geräte übertönte. »Du«, sagte er und zeigte auf den Reporter, der erst vor wenigen Sekunden in sein Büro gestürmt war, »besorge dir eine Aufnahmeausrüstung und sieh zu, daß du so schnell wie möglich verschwindest, um dir vor Ort anzuschauen, was eigentlich los ist.« Der Reporter und ein Kameramann mit seiner Videokamera hasteten zum Ausgang. »Wer hat uns den ersten Bericht hereingefunkt?« wollte er wissen.
»Martinez. Er war auf dem Weg zur Arbeit und ist vor dem Flughafen im Stau steckengeblieben.«
»Ist er noch in der Nähe?«
»Ja, er hat vom Autotelefon aus angerufen.«
»Sagt ihm, er soll versuchen, so nah wie möglich zur Absturzstelle zu fahren und Videoaufnahmen machen, bis die mobile Hilfstruppe eintrifft.«
Er überblickte suchend die Gesichter. »Ist Ike hier irgendwo?« fragte er. Ike war der Redakteur für das Morgenprogramm.
»Der ist auf dem Scheißhaus.«
»Geht und holt ihn. Sagt ihm, er soll sich ins Studio setzen. Wir machen eine aktuelle Sendung. Ich will eine Stellungnahme von jemandem aus dem Tower, von der Flughafenleitung, der Fluglinie, der Polizei – irgendwas , damit wir eine Sendung hinkriegen, noch bevor die Jungs von der NTSB wieder alle knebeln. Übernimm du das, Hal. Und dann soll jemand Avery zu Hause anrufen und ihr sagen –«
»Geht nicht, sie fliegt doch nach Dallas heute, wissen Sie nicht mehr?«
»Scheiße, hatte ich vergessen. Nein, ich hab’s«, sagte Irish hoffnungsvoll und schnippte mit den Fingern. »Vielleicht ist sie ja noch auf
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