Unterm Kirschbaum
obwohl er ab und an, wenn sich keine andere finden ließ, schon einmal mit ihr ins Bett ging.
Wiederschein strich gern durch die Villa, um sich mit Eifer zu notieren, wo aufgeräumt und wo etwas repariert werden musste. Sich selbst sozusagen gegen den Strich zu bürsten, war eine wahre Lust für ihn, galt er doch bei alten Freunden als furchtbar schlampig und als geborener Chaot.
»Freddie?«, schrie er aus dem Keller nach oben. »Du solltest doch die Falltür erneuern.«
»Morgen. Die müssen mir im Baumarkt erst die passenden Scharniere besorgen.«
Diese Falltür war ein großes Geheimnis des Hauses. Die Vorbesitzer hatten, als es mit dem Nazireich zu Ende ging, die Hausplatte durchstoßen und unter dem Keller einen Schutzraum anlegen lassen, um sich und ihre Wertsachen vor den anrückenden Russen in Sicherheit zu bringen. Wiederschein nutzte dieses Gewölbe als Weinkeller, hatte aber auch einen kleinen Tresor hinunterschaffen lassen.
»Freddie, und vergiss nicht, um eins Woytasch die drei Menüs nach Hause zu bringen, der erwartet Gäste, und seine Frau will nicht kochen.«
»Aye, aye, Sir!«
In der Küche lief alles bestens. Zwischen 12 und 15 Uhr gab es wochentags nicht allzu viele Gäste, da schaffte es Mohamadou allein, wenn ihm Gudrun ein wenig zur Hand ging. Bharati war noch nicht angetreten, aber Matti hatte keine Mühe, alle Gäste zufriedenzustellen.
Gudrun kam Wiederschein mit einem Berg schmutziger Wäsche entgegen und meldete, dass im Gästehaus alles hergerichtet sei.
»Kommt denn heute einer?«
»Na, der aus Kalkutta«, antwortete Gudrun.
Wiederschein stutzte. »Einer aus Indien …?« Sollte Denise jemanden nach Frohnau gelockt haben?
»Ich weiß von nichts.«
Es stellte sich heraus, dass Gudrun statt Kalytta, das war ein alter Schulfreund von ihm, Kalkutta gelesen hatte. Da fiel Wiederschein auch ein, dass sich Gerhard Kalytta, der jetzt in Mainz zu Hause war, zu einem Kurzbesuch angesagt hatte.
Für Freunde wie ihn, aber auch für Verwandte, vor allem aber für Manager und für Gäste, die zu viel getrunken hatten, um nachts noch legal mit dem Auto nach Hause fahren zu können, hatte Wiederschein den alten Pferdestall und die darüberliegende Kutscherwohnung zu einem Gästehaus ausbauen lassen.
Dorthin führte er nun den alten Kumpel, als man sich nach dessen Ankunft herzlich umarmt hatte. Gerade begann nebenan auf dem Baugrundstück ein Betonmischer zu röhren.
»Der wird ja nachts verstummt sein«, hoffte Kalytta.
Wiederschein lachte. »Ja, aber dafür hörst du alle zehn Minuten die S-Bahn.«
»Und ich dachte, das hier bei euch sei die reinste Idylle.«
»Du als Psychologe solltest doch wissen, dass die Idylle immer Vorbote einer Katastrophe ist«, sagte Wiederschein.
*
Karsten Klütz hatte gar nicht anders gekonnt, als Fußballprofi zu werden, denn er war am 30. Juli 1966 genau in der Minute zur Welt gekommen, in der die bundesdeutsche Nationalmannschaft Opfer des ›Wembley-Tores‹ geworden war und gegen England das Endspiel um die Weltmeisterschaft verloren hatte.
»Das ist ein Zeichen des Himmels!«, hatte sein Vater ausgerufen. »Du bist geboren worden, um diese Schmach einmal zu rächen.«
Folgerichtig hatte er mit seinem Sohn schon zu trainieren begonnen, als der noch mit einem Windelpo durchs Kinderzimmer tapste. Seine Karriere hatte Klütz dann in der E-Jugend des 1. FC Neukölln gestartet und es – nach einer abgeschlossenen Lehre als Gärtner – in der Tat bis in die 1. Bundesliga geschafft, wenn auch nur bei Mannschaften der unteren Tabellenhälfte. Nie aber hatte ein Bundestrainer daran gedacht, ihn in die Nationalmannschaft zu berufen, obwohl da öfter Sportkameraden mitmachen durften, die auch nicht besser waren als er. Das nagte an ihm, da halfen auch die Millionen nicht, die er auf dem Konto hatte, und am Abend seiner Karriere war eine Verbitterung geblieben, die ihn ungemein aggressiv werden ließ.
Jetzt kickte er bei Berlin United, einem Verein der Verbandsliga, denn spielen musste er noch immer, auch mit seinen 32 Jahren und einer langen Verletzungsliste, denn es war wie eine Sucht. Jagte er dem Ball hinterher, vergaß er außerdem seine private Katastrophe, die Trennung von Rebecca und den Kindern, den ganzen fürchterlichen Rosenkrieg und den Scheiß mit der Scheidung.
Heute spielten sie auf einem Acker in Mahlsdorf. Er war erst zehn Minuten vor dem Anpfiff in der Umkleidekabine erschienen, weil er Mahlsdorf mit Mahlow verwechselt
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