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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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gekommen bin, Psychologe zu werden? Ganz einfach: Weil Gaby Psychologie studiert hat. Gaby, das war die in unserer Klasse, bei der du nie landen konntest, die Dunkelhaarige rechts am Fenster.«
    »Das nennt man also Berufung«, sagte Wiederschein.
    Kalytta kam ihm mit dem Paulus-Brief an die Römer: »O welch eine Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!«
    »Wie haben dir denn meine Gerichte geschmeckt?«, fragte Wiederschein.
    »Ganz ausgezeichnet und allemal ein Grund, öfter mal nach Berlin zu kommen. Bei euch ist ja wirklich immer was los.« Das spielte auf eine ganz besondere Aktion der Berliner Behinderten an. Weil das Rathaus Lichtenberg für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich war, hatten sie ein Mitglied ihrer Basisgruppe am europäischen Protesttag mit einem Kran vor das Fenster des Büros gehievt, in das er anders nicht gelangen konnte.
    »Und Bill Clinton nicht zu vergessen«, fügte Wiederschein hinzu.
    Der US -Präsident hatte am 14. Mai zusammen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und 10.000 Berlinern das 50-jährige Jubiläum der Luftbrücke gefeiert.
    »Ich werde daran denken, wenn ich nachher durch den mittleren Luftkorridor nach Frankfurt fliege.«

     
    Nachdem Kalytta abgereist war, setzte sich Wiederschein in sein Arbeitszimmer und studierte in den Tageszeitungen wie im Internet die Börsenberichte. Im Augenblick hatte er sich auf Warentermingeschäfte mit Orangensaftkonzentrat und Getreide geworfen, sich aber auch ins sogenannte Optionsscheingeschäft verrannt, das heißt, sein Geld darauf gesetzt, dass bestimmte Aktien und Aktienindizes wie zum Beispiel der DAX steigen oder fallen würden.
    »Na, was ist heute dabei herausgesprungen?«
    Seine Frau war ins Zimmer gekommen, ohne dass er es bemerkt hatte.
    Wiederschein seufzte. »Leider wieder nichts.«
    »Sucht ist eben Sucht«, sagte Angela Wiederschein.
    »Ich bin kein Zocker, ich bin nur darauf aus, zu Geld zu kommen, ehe Schulz den Strick zuzieht. Um den Hals gelegt hat er mir das Ding schon.«
    »Wieso?«
    »Er will in nächster Zeit mal vorbeikommen und nach dem Rechten sehen.« Wiederschein fuhr seinen Computer herunter. »Ich weiß nicht ein noch aus und habe Sorgen über Sorgen, und das wittert er irgendwie.«
    »Du trinkst zu viel, du spekulierst zu viel, deine Gäste kriegen das mit, und irgendwann wird es ihm zu Ohren gekommen sein.«
    Er stand auf und nahm sie in den Arm. »Ach, Äinschie, ich wollte, du hättest bessere Tage. Aber ich habe ja alles unternommen, damit du so richtig berühmt wirst …« Er hatte zweimal versucht, Filme zu finanzieren, in denen ihr die Hauptrolle versprochen worden war, doch beide Male war die Sache im Sande verlaufen und hatte ihn viel Geld gekostet.
    Sie machte sich los von ihm. »Du hörst nicht auf zu klagen wegen der Filme, die nie gedreht wurden, und wirfst mir vor, ich hätte nichts im Sinn, als berühmt zu werden. Ja, warum denn nicht? Irgendetwas muss der Mensch doch wollen! Etwas, was nicht jeder hat. Das wusstest du doch. Ich bin dir nicht nachgelaufen, im Gegenteil, du wolltest mich partout. Das kannst du nicht bestreiten. Und nun dieses ewige Gejammere mit dem Berühmtwerden, was soll das? Sicher habe ich dich einiges gekostet, aber ohne mich wärst du doch damals verreckt.«
    Er sah sie mit großen Augen an. »Was soll ich denn machen, Äinschie?«
    »Mal etwas Außergewöhnliches!«

     
    *

     
    Sandra Schulz war gelernte Schneiderin, hatte als Model und Komparsin gearbeitet und sich schließlich den Traum erfüllt, Modedesignerin mit eigener kleiner Werkstatt zu werden und ihr Label auf den großen Messen vorzustellen. Das Geld dafür hatte ihr Siegfried Schulz geliehen. Nicht nur das, er hatte es auch geschafft, sie aus der Drogenszene herauszuholen.
    Jetzt waren sie schon seit vier Jahren verheiratet, und sie ertrug ihn, weil sie trotz ihrer gerade einmal 26 Jahre ein altmodisches Wertesystem verinnerlicht hatte und für sie Dankbarkeit ein hoher Wert war. Und vielleicht hätte sie es mit ›Siggi‹ sogar bis zur silbernen Hochzeit geschafft, wenn ihr nicht Karsten Klütz über den Weg gelaufen wäre. Sie hatte schon, kaum war sie zehn Jahre alt geworden, für Fußballspieler geschwärmt, und als sie Karsten Klütz auf dem Presseball begegnet war, hatte es für sie nur eines gegeben: den oder keinen. Dagegen anzukommen, war genauso sinnlos wie der Versuch, einen Orkan aufhalten zu wollen. Aber

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