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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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übermäßig blühend aus.«
    »Ja, Kopfweh habe ich manchmal.« »Ist dir die tägliche Arbeit zuviel?« »O nein, gar nicht.«
    »Oder treibst du viel Privatlektüre? Sei nur ehrlich!« »Nein, ich lese fast nichts, Herr Ephorus.«
    »Dann begreife ich das nicht recht, lieber junger Freund. Irgendwo muß es doch fehlen. Willst du mir versprechen, dir ordentlich Mühe zu geben?«
    Hans legte seine Hand in die ausgestreckte Rechte des Gewaltigen, der ihn mit ernster Milde anblickte.
    »So ist's gut, so ist's recht, mein Lieber. Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad.«
    Er drückte Hans die Hand, und dieser ging aufatmend zur Türe. Da wurde er zurückgerufen.
    »Noch etwas, Giebenrath. Du hast viel Verkehr mit Heilner, nicht wahr?« »Ja, ziemlich viel.«
    »Mehr als mit andern, glaube ich. Oder nicht?« »Doch ja. Er ist mein Freund.«
    »Wie kam denn das? Ihr seid doch eigentlich recht verschiedene Naturen.«
    »Ich weiß nicht, er ist nun eben mein Freund.« »Du weißt, daß ich deinen Freund nicht besonders liebe. Er ist ein unzufriedener, unruhiger Geist; begabt mag er sein, aber er leistet nichts und übt keinen guten Einfluß auf dich. Ich würde es sehr gerne sehen, wenn du dich ihm mehr fernhalten würdest. - Nun?«
    »Das kann ich nicht, Herr Ephorus.« »Du kannst nicht? Ja warum denn?«
    »Weil er doch mein Freund ist. Ich kann ihn doch nicht einfach im Stich lassen.«
    »Hm. Aber du könntest dich doch etwas mehr an andere anschließen? Du bist der einzige, der sich dem schlechten Einfluß dieses Heilner so hingibt, und die Folgen sehen wir ja schon. Was fesselt dich denn gerade an ihm besonders?« »Ich weiß selber nicht. Aber wir haben einander gern, und es wäre feig von mir, ihn zu verlassen.«
    »So so. Na, ich zwinge dich nicht. Aber ich hoffe, du kommst allmählich von ihm los. Es wäre mir lieb. Es wäre mir sehr lieb.« Die letzten Worte hatten nichts mehr von der vorigen Milde. Hans konnte nun gehen.
    Von da an plagte er sich aufs neue mit der Arbeit. Es war allerdings nicht mehr das frühere flotte Vorwärtskommen, sondern mehr ein mühseliges Mitlaufen, um wenigstens nicht zu weit zurückzubleiben. Auch er wußte, daß das zum Teil von seiner Freundschaft herrührte, doch sah er in dieser nicht einen Verlust und ein Hemmnis, vielmehr einen Schatz, der alles Versäumte aufwog - ein erhöhtes wärmeres Leben, mit dem das frühere nüchterne Pflichtdasein sich nicht vergleichen ließ. Es ging ihm wie jungen Verliebten: er fühlte sich großer Heldentaten fähig, nicht aber der täglichen langweiligen und kleinlichen Arbeit. Und so spannte er sich immer wieder mit verzweifeltem Seufzer ins Joch. Es zu machen wie Heilner, der obenhin arbeitete und das Nötigste sich rasch und fast gewaltsam hastig aneignete, verstand er nicht. Da sein Freund ihn ziemlich jeden Abend in den Mußestunden in Anspruch nahm, zwang er sich, morgens eine
    Stunde früher aufzustehen, und rang namentlich mit der hebräischen Grammatik wie mit einem Feinde. Freude hatte er eigentlich nur noch am Homer und an der Geschichtsstunde. Mit dunkel tastendem Gefühle näherte er sich dem Verständnis der homerischen Welt, und in der
    Geschichte hörten allmählich die Helden auf, Namen und Zahlen zu sein, und blickten aus nahen, glühenden Augen und hatten lebendige, rote Lippen und jeder sein Gesicht und seine Hände -
    einer rote, dicke, rohe Hände, einer stille, kühle, steinerne, und ein anderer schmale, heiße, feingeäderte. Auch beim Lesen der Evangelien im griechischen Texte fand er sich zuweilen von der Deutlichkeit und Nähe der Gestalten überrascht, ja überwältigt. Namentlich einmal, beim sechsten Kapitel des Markus, wo Jesus mit den Jüngern das Schiff verläßt und es heißt: ééäêäí éàÙÓÝßÝãéí ÑäãßÝ àéìÙéÔìÑÜÝ , »sie erkannten ihn sogleich und liefen herzu«. Da sah auch er den Menschensohn das Schiff verlassen und erkannte ihn sogleich, weder an Gestalt noch
    Gesicht, sondern an der großen, glanzvollen Tiefe seiner Liebesaugen und an einer leise winkenden oder vielmehr einladenden, willkommen heißenden Gebärde seiner schlanken,
    schönen, bräunlichen Hand, die von einer feinen und doch starken Seele geformt und bewohnt erschien. Der Rand eines erregten Gewässers und der Schnabel einer schweren Barke tauchte für einen Augenblick mit auf, dann war das ganze Bild wie ein rauchender Atemzug im Winter vergangen. Je und je kam etwas Derartiges wieder, daß aus den

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