Unterm Rad
Mitglied und wurde nicht
angenommen. Er kochte vor Wut. Zur Rache ging er nun in den Bibelkranz. Man wollte ihn auch dort nicht haben, doch drängte er sich auf und brachte in die frommen Gespräche der
bescheidenen kleinen Brüderschaft Zank und Hader durch seine kühnen Reden und gottlosen Anspielungen. Bald wurde er auch dieses Spaßes müde, behielt aber einen ironisch-biblischen Ton im Reden noch länger bei. Indessen wurde er diesmal kaum beachtet, da die Promotion jetzt völlig von einem Geist des Unternehmens und Gründens besessen war.
Am meisten machte ein begabter und witziger Spartaner von sich reden. Ihm war es, nächst dem persönlichen Ruhm, lediglich darum zu tun, etwas Leben in die Bude zu bringen und sich durch allerlei witzige Allotria eine öftere Erholung von dem einförmigen Arbeitsleben zu verschaffen. Er hieß mit Spitznamen Dunstan und fand einen originellen Weg, Sensation zu machen und sich zu einem gewissen Ruhm emporzuschwingen. Eines Morgens, als die Schüler aus den Schlafsälen kamen, fanden sie an der Waschsaaltüre ein Papier geklebt, auf welchem unter dem Titel »Sechs Epigramme aus Sparta« eine ausgewählte Zahl von auffallenderen
Kameraden, ihre Narrheiten, Streiche, Freundschaften in Distichen witzig verhöhnt waren. Auch das Paar Giebenrath und Heilner hatte seinen Hieb bekommen. Eine ungeheure Aufregung
entstand in dem kleinen Staatswesen, man drängte sich vor jener Tür wie am Eingang eines Theaters, und die ganze Schar surrte, stieß und säuselte durcheinander wie ein Bienenvolk, dessen Königin sich zum Fluge anschickt.
Am folgenden Morgen war die ganze Türe mit Epigrammen und Xenien gespickt, mit
Erwiderungen, Zustimmungen, neuen Angriffen, ohne daß jedoch der Urheber des Skandals so unklug gewesen wäre, sich wieder daran zu beteiligen. Seinen Zweck, den Zunder in die Scheuer zu werfen, hatte er erreicht und rieb sich die Hände. Fast alle Schüler beteiligten sich nun einige Tage lang am Xenienkampf, nachdenklich schritt jeder umher, auf ein Distichon bedacht, und vielleicht war Lucius der einzige, der unbekümmert wie sonst seiner Arbeit nachging. Am Ende nahm ein Lehrer davon Notiz und verbot die Fortsetzung des aufregenden Spiels.
Der schlaue Dunstan ruhte nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern hatte inzwischen seinen Hauptschlag vorbereitet. Er gab nun die erste Nummer einer Zeitung heraus, die in winzigem Format auf Konzeptpapier hektographiert war und zu der er seit Wochen Stoff gesammelt
hatte. Sie führte den Titel »Stachelschwein« und war vorwiegend ein Witzblatt. Ein drolliges Gespräch zwischen dem Verfasser des Buches Josua und einem Maulbronner Seminaristen war das Glanzstück der ersten Nummer.
Der Erfolg war durchschlagend, und Dunstan, der nun Miene und Benehmen eines stark
beschäftigten Redakteurs und Verlegers annahm, genoß im Kloster ungefähr denselben heiklen Ruf wie seinerzeit der famose Aretiner in der Republik Venedig.
Es erregte allgemeines Erstaunen, als Hermann Heilner sich mit Leidenschaft an der Redaktion beteiligte und nun mit Dunstan zusammen ein scharfes satirisches Zensorat ausübte, wozu es ihm weder an Witz noch an Geist gebrach. Etwa vier Wochen lang hielt die kleine Zeitung das ganze Kloster in Atem. Giebenrath ließ seinen Freund gewähren, er selber hatte weder die Lust noch die Gabe mitzumachen. Er merkte es anfangs sogar kaum, daß Heilner neuerdings so
häufig seine Abende in Sparta zubrachte, denn seit kurzem beschäftigten ihn andere Dinge.
Tagsüber ging er träg und unaufmerksam umher, arbeitete langsam und ohne Lust, und einmal passierte ihm in der Liviusstunde etwas Seltsames.
Der Professor rief ihn zum Übersetzen auf. Er blieb sitzen. »Was soll das heißen? Warum stehen Sie nicht auf?« rief der Professor ärgerlich.
Hans rührte sich nicht. Er saß aufrecht in der Bank, hatte den Kopf ein wenig gesenkt und die Augen halb geschlossen. Der Aufruf hatte ihn aus einem Träumen halb erweckt, doch hörte er die Stimme des Lehrers nur wie aus einer großen Entfernung. Er spürte auch, daß sein
Banknachbar ihn heftig anstieß. Es ging ihn nichts an. Er war von anderen Menschen umgeben, andere Hände berührten ihn, und andere Stimmen redeten zu ihm, nahe, leise, tiefe Stimmen, welche keine Worte sprachen, sondern nur tief und mild wie Brunnentöne rauschten. Und viele Augen sahen ihn an - fremde, ahnungsvolle, große, glanzvolle Augen. Vielleicht die Augen einer römischen Volksmenge, von welcher er
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