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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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seien.
    »Keiner«, sagte Hans, »bloß ich.«
    »Au, wir Göppinger sind zu zwölft! Drei ganz Gescheite sind dabei, von denen erwartet man, daß sie unter die ersten kommen. Voriges Jahr war der Primus auch ein Göppinger. - Gehst du aufs Gymnasium, falls du durchfällst?« Davon war noch gar nie die Rede gewesen. »Ich weiß nicht...
    Nein, ich glaube nicht.« »So? Ich studiere auf alle Fälle, auch wenn ich jetzt durchfalle. Dann läßt mich meine Mutter nach Ulm.«
    Das imponierte Hans gewaltig. Auch die zwölf Göppinger mit den drei ganz Gescheiten machten ihm Angst. Da konnte er sich ja nicht mehr sehen lassen.
    Zu Hause setzte er sich hin und nahm die Verba auf mi noch einmal durch. Aufs Lateinische hatte er gar keine Angst gehabt, da fühlte er sich sicher. Aber mit dem Griechischen ging es ihm eigentümlich. Er hatte es gern, er schwärmte fast dafür, aber nur fürs Lesen. Namentlich Xenophon war so schön und beweglich und frisch geschrieben, alles klang heiter, hübsch und kräftig und hatte einen flotten, freien Geist, auch war alles leicht zu verstehen. Aber sobald es an die Grammatik ging oder vom Deutschen ins Griechische übersetzt werden mußte, fühlte er sich in ein Labyrinth von widerstreitenden Regeln und Formen verirrt und empfand vor der fremden Sprache fast dieselbe angstvolle Scheu wie seinerzeit in der ersten Lektion, als er noch nicht einmal das griechische Alphabet lesen konnte. Am ändern Tag kam richtig Griechisch an die Reihe und nachher deutscher Aufsatz. Die griechische Arbeit war ziemlich lang und gar nicht leicht, das Aufsatzthema war heikel und konnte mißverstanden werden. Von zehn Uhr an wurde es schwül und heiß im Saal. Hans hatte keine gute Schreibfeder und verdarb zwei Bogen Papier, bis die griechische Arbeit ins reine geschrieben war. Beim Aufsatz kam er in die größte Not durch einen dreisten Nebensitzer, der ihm ein Blatt Papier mit einer Frage zuschob und ihn durch Rippenstöße zum Antworten drängte. Der Verkehr mit den Banknachbarn war aufs allerstrengste verboten und zog unerbittlich den Ausschluß vom Examen nach sich. Zitternd vor Furcht,
    schrieb er auf den Zettel: »Laß mich in Ruhe« und wandte dem Frager den Rücken. Es war auch so heiß. Sogar der Aufsichtsprofessor, der beharrlich und gleichmäßig den Saal abschritt und keinen Augenblick ruhte, fuhr sich mehrmals mit dem Sacktuch übers Gesicht. Hans schwitzte in seinem dicken Konfirmationsanzug, bekam Kopfweh und gab schließlich seine Bogen ganz
    unglücklich ab, mit dem Gefühl, sie stecken voller Fehler, und mit dem Examen sei es nun wohl fertig.
    Bei Tisch sagte er kein Wort, sondern zuckte auf alle Fragen nur die Achseln und machte ein Gesicht wie ein Delinquent. Die Tante tröstete, aber der Vater regte sich auf und wurde ungemütlich. Nach dem Essen nahm er den Buben mit ins Nebenzimmer und suchte ihn nochmals auszufragen. »Schlecht ist's gegangen«, sagte Hans.
    »Warum hast du nicht aufgepaßt? Man kann sich doch auch zusammennehmen, zum Teufel!«
    Hans schwieg, und als der Vater anfing zu schimpfen, wurde er rot und sagte: »Du verstehst doch nichts vom Griechischen!« Das schlimmste war, daß er um zwei Uhr ins Mündliche mußte.
    Davor graute ihm am meisten. Unterwegs auf der glühend heißen Stadtstraße wurde ihm ganz elend, und er konnte vor Leid und Angst und Schwindel kaum mehr aus den Augen sehen. Zehn Minuten lang saß er vor drei Herren an einem großen, grünen Tisch, übersetzte ein paar
    lateinische Sätze und gab auf die gestellten Fragen Antwort.
    Zehn Minuten saß er dann vor drei anderen Herren, übersetzte Griechisch und wurde wieder allerlei gefragt. Zum Schluß wollte man einen unregelmäßig gebildeten Aorist von ihm wissen, aber er gab keine Antwort. »Sie können gehen, dort, die Türe rechts.« Er ging, aber in der Türe fiel ihm nun doch der Aorist noch ein. Er blieb stehen.
    »Gehen Sie«, rief man ihm zu, »gehen Sie! Oder sind Sie etwa unwohl?«
    »Nein, aber der Aorist ist mir jetzt eingefallen.« Er rief ihn ins Zimmer hinein, sah einen der Herren lachen und stürzte mit brennendem Kopf davon. Dann versuchte er, sich auf die Fragen und auf seine Antworten zu besinnen, aber alles ging ihm durcheinander. Er sah nur immer wieder die große, grüne Tischfläche, die drei alten, ernsten Herren in Gehröcken, das
    aufgeschlagene Buch und seine zitternd daraufgelegte Hand. Herrgott, was mochte er für
    Antworten gegeben haben! Als er durch die Straßen schritt, kam es

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