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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sag es deinem Papa. In die Schule brauchst du jetzt nicht mehr zu kommen, in acht Tagen fangen ja ohnehin die Ferien an.« Schwindelig kam der Junge auf die Straße hinaus, sah die Linden stehen und den Marktplatz in der Sonne daliegen, alles wie sonst, aber alles schöner und bedeutungsvoller und freudiger. Er hatte bestanden! Und er war Zweiter! Als der erste Freudensturm vorüber war, erfüllte ihn ein heißes Dankgefühl. Nun brauchte er dem Stadtpfarrer nicht aus dem Wege zu gehen.
    Nun konnte er studieren! Nun brauchte er weder den Käsladen noch das Kontor mehr zu
    fürchten!
    Und jetzt konnte er auch wieder angeln. Der Vater stand gerade in der Haustür, als er heimkam.
    »Was gibt's?« fragte er leichthin. »Nicht viel. Man hat mich aus der Schule entlassen.« »Was?
    Warum denn?« »Weil ich jetzt Seminarist bin.« »Ja, sackerlot, hast du denn bestanden?« Hans nickte. »Gut?«
    »Ich bin der Zweite geworden.«
    Das hatte der Alte doch nicht erwartet. Er wußte gar nichts zu sagen, klopfte dem Sohn
    fortwährend auf die Schulter, lachte und schüttelte den Kopf. Dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen. Doch sagte er nichts, sondern schüttelte nur wieder den Kopf.
    »Donnerwetter!« rief er schließlich. Und noch einmal: »Donnerwetter!«
    Hans stürzte ins Haus hinein, die Treppen hinan und auf den Dachboden, riß einen Wandschrank in der leerstehenden Mansarde auf, kramte darin herum und zog allerlei Schachteln und
    Schnurbündel und Korkstücke heraus. Es war sein Angelzeug. Nun mußte er vor allem eine
    schöne Rute dazu schneiden. Er ging zum Vater hinunter. »Papa, leih mir dein Sackmesser!« »Zu was?«
    »Ich muß eine Gerte schneiden, zum Fischen.« Der Papa griff in die Tasche.
    »Da«, sagte er strahlend und großartig, »da sind zwei Mark, du kannst dir ein eigenes Messer kaufen. Geh aber nicht zum Hanfried, sondern drüben in die Messerschmiede.« Nun ging's im Galopp. Der Messerschmied fragte nach dem Examen, bekam die frohe Botschaft zu hören und gab ein extra schönes Messer her. Flußabwärts, unterhalb der Brühelbrücke, standen schöne, schlanke Erlen- und Haselstauden, dort schnitt er sich nach langem Auswählen eine fehlerlose, zäh federnde Rute und eilte damit nach Hause zurück. Mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen ging er an die fröhliche Arbeit des Angelrüstens, die ihm fast so lieb wie das Fischen selber war. Den ganzen Nachmittag und Abend saß er darüber. Die weißen, braunen und grünen Schnüre wurden sortiert, peinlich untersucht, geflickt und von manchem alten Knoten und Wirrwarr befreit. Korkstücke und Federkiele in allen Formen und Größen wurden probiert oder neu geschnitzt, kleine Bleistücke von verschiedenem Gewicht in Kugeln gehämmert und mit Einschnitten versehen, zum Beschweren der Schnüre. Dann kamen die Angelhaken, von denen noch ein kleiner Vorrat da war. Sie wurden teils an vierfachem, schwarzem Nähfaden, teils an einem Rest Darmsaite, teils an zusammengedrehten Roßhaarschnüren befestigt. Gegen Abend war alles fertig, und Hans war nun sicher, in den langen sieben Ferienwochen keine Langeweile haben zu müssen, denn mit der Angelrute könne er ganze Tage allein am Wasser zubringen.

Zweites Kapitel
    So müssen Sommerferien sein! Über den Bergen ein enzianblauer Himmel, wochenlang ein
    strahlend heißer Tag am andern, nur zuweilen ein heftiges, kurzes Gewitter. Der Fluß, obwohl er seinen Weg durch so viel Sandsteinfelsen und Tannenschatten und enge Täler hat, war so
    erwärmt, daß man noch spät am Abend baden konnte. Rings um das Städtchen her war Heu-
    und Öhmdgeruch, die schmalen Bänder der paar Kornäcker wurden gelb und goldbraun, an den Bächen geilten mannshoch die weißblühenden, schierlingartigen Pflanzen, deren Blüten
    schirmförmig und stets von winzigen Käfern bedeckt sind und aus deren hohlen Stengeln man Flöten und Pfeifen schneiden kann. An den Waldrändern prunkten lange Reihen von wolligen, gelbblühenden, majestätischen Königskerzen, Weiderich und Weidenröschen wiegten sich auf ihren schlanken, zähen Stielen und bedeckten ganze Abhänge mit ihrem violetten Rot. Innen unter den Tannen stand ernst und schön und fremdartig der hohe, steile rote Fingerhut mit den silberwolligen breiten Wurzelblättern, dem starken Stengel und den hochaufgereihten,
    schönroten Kelchblüten. Daneben die vielerlei Pilze: der rote, leuchtende Fliegenschwamm, der fette, breite Steinpilz, der abenteuerliche Bocksbart, der rote,

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