Untitled
»Man geht nicht so einfach nach Südamerika. Ich bin kein Albatros, bei Gott! Ich bin August, ein Mann mit zarten Füßen und einem Magen, der gefüllt sein möchte.«
Eine nach der anderen begann er die menschlichen Eigentümlichkeiten aufzuzählen, die ihn, August, von den Vögeln der Luft und den Tieren des Abgrunds sonderten. Dieses Nachsinnen endete schließlich in einer langen Betrachtung über jene beiden Eigentümlichkeiten, die am deutlichsten die Welt des Menschen vom Bereich des Tierischen scheiden – Lachen und Weinen. Seltsam, dachte er bei sich selbst, daß er, der doch in diesem Gebiet beheimatet war, darüber Spekulationen anstellte wie ein Schulbub.
»Aber ich bin kein Albatros!« Dieser Gedanke – zugegeben, nicht gerade der glänzendsten einer – kam immer wieder, während er die Fragen nach vorwärts und rückwärts wälzte.
Aber wenn sie auch weder originell noch glänzend war, so war sie doch bequem und beru higend, diese Idee, daß er sich auch während des ärgsten Saltos seiner Einbildungskraft nie für einen Albatros halten würde.
Südamerika – was für ein Unsinn! Fraglich war nicht die Richtung, in die er aufbrechen – und wie er dorthin gelangen sollte, fraglich war … Er versuchte, es sich selbst in sehr, sehr einfachen Worten zu erklären. War es nicht vielleicht so, daß er sich sehr wohl befand, so wie er war … ohne sich zu verkleinern, ohne sich zu vergrößern? Er hatte seine eigenen Grenzen überschritten, das war sein Irrtum gewesen. Das Lachen der Menschen genügte ihm nicht, er wollte ihnen die Freude schenken. Freude ist eine Gabe Gottes. Hatte er dies nicht erkannt in der Zeit seines Verzichts – als er annahm, was ihm geboten wurde?
August fühlte, daß er mit seinen Überlegungen ins Ungewisse geriet. Seine wahre Tragödie, merkte er nun, lag darin, daß er unfähig war, seine Kenntnisse einer anderen Welt, einer Welt jen seits Unwissenheit und Vergänglichkeit, jenseits von Lachen und Weinen, den anderen mitzuteilen. Diese Grenze war es, die den Clown aus ihm machte – Gottes eigenen Clown, denn auf Erden war niemand, dem er diesen Zwiespalt begreiflich machen konnte.
Und in diesem Augenblick überkam es ihn plötzlich – ganz einfach ging das alles! –, daß niemand zu sein, oder jemand oder jedermann zu sein, ihn keineswegs daran hinderte, er selbst zu sein …
Wenn er schon ein Clown war, dann ganz und gar, durch und durch, von Grund auf – vom morgendlichen Erwachen bis zum Zurücksinken in den Schlaf. Clown zu jeder Zeit, für Lohn oder aus reiner Freude am Dasein. So sehr, so unwandelbar war er von der Weisheit dieses Gedankens überzeugt, daß es ihn gelüstete, ohne Verzug zu beginnen – ohne Schminke, ohne Kostüm, ja selbst ohne die Begleitung jener alten, quäkenden Violine. So ausschließlich würde er August sein, daß nichts übrigblieb als die Wahrheit, die nun in ihm wie Feuer brannte.
Einmal noch schloß er die Augen, um hinabzusteigen in die Dunkelheiten. Lange blieb er so, ruhig und friedevoll ging der Atem durch seine Brust, durch die Lagerstatt seiner Seele. Als er die Augen wieder öffnete, sah er eine Welt, von der alle Schleier abgefallen waren. Es war die Welt, die er immer in seinem Herzen getragen hatte, immer bereit, Gestalt zu werden, die aber erst zu leben beginnen konnte, wenn man sich mit ihr vereinigte, wenn ihr Puls gleich wurde dem Schlagen des eigenen Herzens.
August war so gerührt, daß er seinen Augen nicht traute. Er rieb sie mit dem Handrücken, nur um sich zu überzeugen, daß sie noch feucht waren von den Tränen der reinen Freude, die er vergossen hatte, ohne es zu wissen. Kerzengerade saß er auf der Bank und seine Augen starrten in die Ferne. Sie mußten erst an das Licht der Vision gewöhnt werden. Aus der Tiefe seiner Seele stie gen, unablässiges Gemurmel, Worte des Dankes. Er stand auf, gerade als die Sonne seine Bank mit einer letzten rötlichen Flut von Gold überschwemmte. Eine Woge von Kraft und Sehnsucht schwoll in seinen Adern. Wie ein Neugeborener wagte er einige Schritte in das unbeschreibbare Licht. Ein Vogel, der zum erstenmal seine Flügel spannt, so breitete er seine Arme aus zu einer allumfassenden Umarmung.
Nun schwand die Erde hin in jenes tiefe Violett, das die Dämmerung verkündet. August taumelte vor Entzücken.
»Endlich! Endlich!« jubelte er, aber in Wirklichkeit war dieser Jubel nur ein schwacher Widerhall der unermeßlichen Freude, die ihn bewegte.
Ein Mann kam auf ihn zu.
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