Unwiderstehliches Verlangen
erzählt haben.« Während er alles Holz zusammentrug, das er finden konnte, sprach er mit lauter Stimme auf sie ein. Er durfte auf keinen Fall zulassen, daß sie einschlief.
»Meine Mutter habe ich manchmal angelogen, wenn sie wissen wollte, wo ich gewesen bin.«
»Das ist nichts. Sie haben bestimmt schon besser gelogen.«
Als sie wieder sprach, war ihre Stimme so leise, daß er sie kaum hörte. »Ich habe Charley gesagt, daß ich ihn liebte.«
»Und dabei haben Sie ihn gar nicht geliebt?« sagte William, bemüht, das Gespräch in Gang zu halten. Er legte Holz vor ihren Füßen nieder.
»Zuerst nicht. Er war älter als ich, einundzwanzig Jahre älter, und anfangs sah ich eher eine Vaterfigur in ihm. Ich schwänzte oft die Schule und trieb mich bei ihm und den Flugzeugen herum. Flugzeuge — das war bei mir Liebe auf den ersten Blick.«
»Dann haben Sie Charley also nur wegen der Flugzeuge geheiratet.«
»Ja«, sagte sie mit schuldbewußter Stimme, setzte sich auf und faßte mit der Hand an ihren blutigen Kopf. Aber William schob ihre Hand weg, hob ihren Kopf an und wischte mit einem Taschentuch das Blut ab.
Die Platzwunde an der Schläfe war unerheblich. »Erzählen Sie weiter!« sagte er. »Wann haben Sie erkannt, daß Sie ihn doch liebten?«
»In den ersten Jahren unserer Ehe habe ich nie darüber nachgedacht. Dann war Charleys Flugzeug in einem Schneesturm überfällig. Ich dachte, ich würde ihn nie Wiedersehen. Da erst wurde mir klar, wie sehr ich ihn liebte.«
Er beugte sich über den Holzstapel und versuchte, ein Feuer in Gang zu setzen. Nach kurzem Schweigen sagte Jackie: »Und haben Sie auch gelogen?«
»Jedenfalls habe ich Charley nicht erzählt, daß ich ihn liebte.«
Jackie lächelte. »Nein, ich will wissen, was die größte Lüge Ihres Lebens war.«
»Als mein Vater eines Tages die Beule am Kotflügel seines Wagens sah, habe ich ihm vorgelogen, daß ich nicht damit gefahren wäre.«
»Hmmm«, sagte Jackie, die jetzt etwas munterer wurde. »Das ist aber keine schlimme Lüge. Haben Sie nichts Stärkeres auf Lager?«
»Ich habe meiner Mutter vorgelogen, ich hätte den Stachelbeerkuchen nicht aufgegessen. Ich habe meinem Bruder vorgeschwindelt, meine Schwester hätte sein Katapult zerbrochen. Ich habe...«
»Okay, okay«, sagte Jackie lachend. »Ich verstehe schon. Sie sind ein unverbesserlicher Lügner. Na schön, jetzt stelle ich eine Frage. Was ist das Schlimmste, das eine Frau zu einem Mann sagen kann?«
Ohne Zögern sagte William: »Wenn sie ihn fragt, wann er sich zum letztenmal die Zähne geputzt hat.«
Jackie grinste. Der Mann begann ihr zu gefallen, und allmählich ließ auch ihre zuerst überwältigende Müdigkeit nach.
»Was ist das Schlimmste, was ein Mann zu einer Frau sagen kann?« fragte er.
Jackie war mit der Antwort genauso schnell zur Hand wie er. »Wenn sie Einkäufe macht und der Mann sagt: >Wonach suchst du eigentlich?<«
Lachend ging er die paar Schritte zu seinem Wagen, machte die Tür auf und holte die Campingsachen heraus. »Was ist das Netteste, was ein Mann zu einer Frau sagen kann?«
»Ich liebe dich. Das heißt, wenn er es wirklich so meint. Wenn er es nicht ehrlich meint, dann sollte man ihn dafür auspeitschen. Und Sie? Was ist für Sie das Netteste?«
»Ja«, sagte er.
»Was ja?«
»Ja ist das Schönste, was eine Frau zu einem Mann sagen kann.«
Jackie lachte. »Auf jede Frage? Ganz egal, welche Frage Sie einer Frau stellen, würden Sie immer am liebsten ein Ja hören?«
»Ein Ja aus dem Munde einer Frau höre ich wirklich gern, auch wenn sie es nur dann und wann sagt.«
»Ach, kommen Sie. Ein Mann, der so aussieht wie Sie, hört doch nie etwas anderes von einer Frau als ja — ganz gleich, was er sie fragt.«
Er hatte die Arme voll Decken, Feldflaschen und einem Korb mit Lebensmitteln. »Ein- oder zweimal habe ich eine Frau ja zu mir sagen hören«, antwortete er grinsend. »Aber nicht öfter.«
»Okay, jetzt bin ich wieder dran. Was ist das Netteste, was Sie jemals für einen Menschen getan haben, ohne daß Sie es jemandem erzählt haben?«
»Das wird wohl der Bau des neuen Krankenhausflügels in Denver gewesen sein. Ich habe ihnen das erforderliche Geld anonym überwiesen.«
»Ach, herrje«, sagte sie. Ihr fiel ein, wie reich die Montgomerys waren.
»Und Sie?«
Jackie lachte. »Charley und ich waren ungefähr vier Jahre verheiratet. Wenn man mit Charley zusammenlebte, hielt man sich nie lange an einem Ort auf. Man wußte kaum, wie die
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