Urlaub fuer rote Engel
betraf, nach dieser garantiert bayernfreien Demonstration in Thüringen keine bayrischen
Verhältnisse.
Auch Wolfgang Barthel hat an der legendären Demonstration teilgenommen. Mit anderen Kollegen besetzte er die Räume des Innenministeriums
in der Schillerstraße, klebte Sticker an Wände und Türen (»die wir später bei unseren Dienstbesuchen dort immer noch sahen
und klammheimlich abrissen«). Nach diesen Protesten durften in Thüringen auch Private nach Prüfungen, Eignungsgesprächen und
dem Versprechen, dass sie sich bei der Gauck-Behörde einen Persilschein besorgen, als öffentlich bestellte Vermessungsingenieure
arbeiten.
Und das hat sich als richtig erwiesen, denn, so sieht es der Geodät: »Der große Wohlstand der BRD hängt auchmit der Vermessung und dem Kataster zusammen. Kataster ist in der BRD Eigentumssicherung und Eigentum die Grundlage für Investitionen.
Ein deutscher Handwerker kann im Gegensatz zu den meisten anderen Europäern, von Afrikanern und Asiaten, die Kataster nicht
kennen, ganz zu schweigen, zur Bank gehen und bekommt die nötigen Kredite. Er muss nur ein vom Katasteramt bestätigtes Grundstück
nachweisen können.«
Ab 2000 hat sich die Arbeit der Vermesser in Thüringen normalisiert, meint er. »Die letzten zehn Jahre waren schon Alltag.
Aufträge einholen, einmessen, abrechnen. Nichts Aufregendes mehr. Das Abenteuer war plötzlich weg.«
Andere wie Dr. Hoffmeister hätten noch manche Abenteuer erlebt. Beispielsweise mit dem Erfurter Gewerbegebiet Kalkreiße. Viele
Investoren wollten damals dort bauen. Aber die Grundstücke gehörten der katholischen und der evangelischen Kirche und den
Landwirten, die dort Blumenkohl anbauten.
»Das erledigen wir von Amts wegen, und ihr vermesst das alles«, hatte der erste Amtsleiter, der aus Hessen gekommen war, zu
Dr. Hoffmeister gesagt. Als er ging, war nichts erledigt, und einige Investoren waren schon weitergezogen. Als der zweite
Amtsleiter aus Hessen gekommen war, versprach er, das Gewerbegebiet Kalkreiße sofort vermessen zu lassen, die Eigentumsfrage
zu klären und Baufreiheit durch die neuen Eintragungen im Grundbuch zu schaffen. Als auch der gegangen war, hatten die Behörden
immer noch nichts getan. Danach kehrte der erste Hesse zurück. Da hofften nur noch wenige der übriggebliebenen Bauherren.Schließlich wurden auch auf Initiative von Dr. Hoffmeister in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (Bodenordnungsverfahren) in der
letzten Sekunde des alten Tages die bisherigen Grundstücksgrenzen im Kataster des Gewerbegebietes außer Kraft gesetzt und
die inzwischen von Hoffmeister vermessenen neuen Grundstücksgrenzen in der ersten Sekunde des neuen Tages für gültig erklärt.
Dr. Hoffmeister ist ein großer Mann mit weißem Lockenkopf und Augen, die so beweglich sind, als müssten sie ständig die Gegenstände
im Zimmer millimetergenau vermessen. Er wurde am 11. April 1939 geboren. Der Vater, den die Verwaltung 1938 vom thüringischen
Mühlhausen in das ostfriesische Emden geschickt hatte, war ein ehrenwerter preußischer Finanzsteuerinspektor. Das gereichte
dem späteren Schüler Helmut Hoffmeister nicht zum Vorteil. 1939 musste der Vater an die Front. Nach der Schlacht bei Witebsk
blieb er in der Sowjetunion verschollen. Das gereichte dem späteren Studienbewerber Helmut Hoffmeister nicht zum Vorteil.
1944 wurde der Junge – die Mutter war zurück nach Mühlhausen gegangen – eingeschult. Ein dreiviertel Jahr erlebte er noch
Lehrer, die mit »Heil Hitler!« grüßten und mit dem Rohrstock auf Finger und Gesäß schlugen. Im Frühjahr 1945 wurde die Schule
geschlossen und bis zum Herbst als Lazarett genutzt. Danach gab es statt »Heil Hitler!« und Rohrstock Neulehrer und später
»Seid bereit!« und »Immer bereit!«. Der Direktor war 8 Wochen zuvor noch Schlosser gewesen. Der Deutschlehrer kam aus sowjetischer
Kriegsgefangenschaft und musste deshalb (»ständig mit falscher Betonung«) Russisch unterrichten.
Als Helmut Hoffmeister zur Oberschule gehen wollte, erklärte ihm der Direktor, man hätte jetzt die Diktatur des Proletariats.
Der Anteil von Arbeiter- und Bauernkindern müsste eingehalten werden, da könne man nicht den Sohn eines preußischen Steuerinspektors
auf die Oberschule schicken. In Mühlhausen gab es damals zwei traditionsreiche Betriebe: die Fahrradfabrik und den Nähmaschinenbetrieb
von Claes & Flentje. Als sich der 14-Jährige in dem Fahrradbetrieb, in dem
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