Urmels Lichterbaum im Eismeer
Fliegenden
Habakuk schaukeln. Da hatte Schusch Mühe, sich auf der Mastspitze im Gleichgewicht zu
halten. Der Mast neigte sich nach vorn und nach hinten und Schusch glich die
Bewegungen mit dem Körper aus. Manchmal schaukelte er da oben herum wie ein
Stehaufmännchen. Wenn Tim Tintenklecks, der am Ruder stand und das Schiff auf
Kurs hielt, hinaufschaute, musste er lachen. »Na, Schusch«, rief er. »Du übst
wohl Seiltanz!«
»Nää!«,
war die ehrliche, etwas schwankende Antwort. Er sauste nach rechts und gleich
wieder nach links, oder, in Seemannssprache, er sauste nach Luv hinab, zu der
dem Wind zugekehrten Seite, im Schwung wieder zum höchsten Punkt hinauf und
gegenüber nach Lee hinunter, zu der dem Wind abgekehrten Seite. Mochte sich der
Mast auch schräg legen, Schusch hielt sich senkrecht. »Dafür habe äch dä
schönste Aussächt!«, plapperte er.
Wutz
hat eine gute Idee
Die Reise
war lang. Wutz kam auf den Gedanken, die Zeit zu nutzen. Sie nahm ein Büchlein
vom Wandbord, stieg die schmale Innentreppe hoch und trottete über das Deck bis
zur Reling, zum Schiffsgeländer. Sie beugte sich darüber, aber nur so weit,
dass sie nicht das Gleichgewicht verlieren und hinabfallen konnte, steckte ihre
rechte Vorderklaue ins Maul und stieß einen Pfiff aus, ohne Öfföff, aber
schrill und laut.
Da
war keiner, der ihn überhörte. Wawa in seiner Muschel spitzte die Ohren und
kroch heraus. Schusch auf der Mastspitze drehte den Vogelkopf. Er fühlte sich
angenehm von seinen Zweifeln abgelenkt. Er beschloss hinabzufliegen. Das Urmel,
das gerade hinter Tim Tintenklecks beim Steuerruder stand und ihn mit seinen
Fragen löcherte, rief: »Das war Wutz! Tschüs, Tim, ich komme gleich wieder!« Es
setzte sich wackelnd in Bewegung.
Ping
Pinguin tauchte auf. Als er erkannte, dass Wutz gepfiffen hatte, rief er:
»Jetzt nicht!« Er dachte, dass sie ihn zu einer Arbeit an Bord rufen wollte.
Das
Urmel war über das schwankende Deck herangetänzelt. Es stellte sich neben Wutz
ans Geländer. Sein dicker Schwanz lag hinter ihm wie die Schleppe eines grünen
Hochzeitskleides, oder wie der Schwanz von einem Krokodil. Seine
Nilpferdschnauze stand ein wenig offen, es war neugierig, was Wutz von ihnen
wollte. Nacheinander kamen nun auch Schusch und Wawa.
»Keine
Zeit!«, plärrte Ping Pinguin noch einmal in weiser Voraussicht.
»Du
hast schon Zeit, öfföff!«, grunzte Wutz laut hinab. »Ihr habt alle Zeit! Immer
nur spielen, was soll da aus euch werden?«
»Es
braucht nichts mehr aus mir zu werden, ich bin pfon was!«, rief Ping Pinguin
aus dem Wasser.
»Ja,
du bist ein kleiner, unnützer Pinguin«, antwortete Wutz und machte sehr laut
»öfföff!«. Dann fuhr sie fort: »Du hast aber selbst gewollt, dass ich euch
lesen beibringe. Also: Jetzt ist die beste Gelegenheit. Ich habe gerade mal
Zeit. Ihr habt auch nichts zu tun — und außerdem ist es sowieso nicht gut, so
lange ohne Unterricht zu bleiben, öfföff, davon wird man dumm!« Sie besann sich
und fügte hinzu: »Noch dümmer, öfföff!«
»Ein
bisschen lesen kann ich schon«, maunzte das Urmel.
»Ja«,
stimmte ihm Wawa zu, »ein bisschen lesen können wir alle. Natürlich nicht so
gut wie du, Wutsch, du hast ja schon ein gantsches dickes Buch geschrieben.
Aber ich kleiner Wawa will ja auch nie ein Buch schreiben. Das wäre mir viel
tschu anstrengend. Wotschu soll ich dann noch mehr Lesen lernen?«
»Lesen
gehört zur Bildung, öfföff!«
»Das
stimmt!«, plapperte Schusch. Er hatte schon einmal durch ein offenes Fenster in
eine Schulklasse hineingeschaut und sozusagen am Unterricht teilgenommen. Etwas
hinterlistig beugte er seinen Kopf über das Geländer und wandte sich an Ping
Pinguin: »Wer lesen kann, braucht nächt flägen zu können!«
»Wieso
nicht?« Ping Pinguin war wie elektrisiert.
»Na,
weil seine Augen über dä Zeilen flägen und er väl mehr erfährt als beim
Runtergucken aus der Luft. Da säht er nämläch bloß flaches Land. Alles flach!
Langweiläg! Aber wenn er läst, dann säht er dä Dänge von allen Seiten, von
unten, von oben, sogar von ännen. Das äst toll!«
Das
überzeugte Ping Pinguin. »Na pfön«, piepste er. »Dann zieht mich halt rauf!«
Wutz gibt
Lese-Unterricht
Das war
wieder eine Szene, die Tim Tintenklecks begeistert filmte: Wie das Urmel das
Körbchen hinabließ und Ping Pinguin hineinhüpfte. Und wie er, noch bevor er
sich hinaufziehen ließ, rief: »Halt! Was ist mit Seele-Fant? Seele-Fant muss
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