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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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Wellensucher in der Nachrichten-Zentrale kontrollierte dreitausend Sendestellen und vermittelte den Antrag durch Lichtbild dem Versammlungsleiter. Dadurch wurde niemand unterbrochen, der gerade sprach. Es genügte, daß später, nach der Reihenfolge der Eingänge, der Genosse in Futura oder wo sonst er sich gemeldet hatte, aufgerufen wurde, um sofort seine Meinung vor sechzig Millionen Arbeitergenossen zu vertreten.
    Diese Einrichtung konnte sich nur in einer hochdisziplinierten Gemeinschaft bewähren, die von Jugend auf gewöhnt war, praktisch und wesentlich zu denken und zu handeln. Eitle Schwätzer und Wiederkäuer waren unbekannte Leute in Utopien.
    Über die haushohe, weiße Wand hinter der Terras senbühne liefen dunkle Schatten; plötzlich erhellte sie sich stark, und wir sahen eine vieltausendköpfige Menge, die uns zujubelte und Fahnen in den Wind hob. Wir hörten das Brausen der Stimmen, die sich zu taktmäßigem Sprechen vereinigten:
    »Futura – grüßt – das – freie – Utopolis!«
    Wir in der Turmhalle antworteten, ohne daß wir uns bewußt wurden, wer unsere Worte zum Gleichklang brachte (niemand sprach uns das vor oder gab den Takt an, es formte sich aus uns ganz von selbst):
    »Es – lebe – die – rote – Internationale!«
    Sie sahen und hörten uns dort, wie wir sie hier, das bewirkte die drahtlose Tonfilmtelegraphie. Alle großen Arbeiterstädte begrüßten uns auf diese Weise. Wir standen ihnen gegenüber, leibhaftig fast. Wenn wir den Gruß erwiderten, immer einmütiger und gewaltiger, Rogen die Arme empor und die Fäuste ballten sich: das war der Massengruß in Utopien, Sinnbild der hämmernden Kraft. Ich fühlte, welche unwiderstehliche Macht gleichen Wollens uns über das einzelne und den einzelnen hinaushob. Da war keiner, der an sich und seine persönlichen Sorgen dachte. Das Ganze, sein Bau, seine Vollendung durchseelte und durchblutete uns alle. Einiges Proletariat: große, glückliche Welt!
    Die Ferntonbilder erloschen. Es wurde still im weiten Raum. Vor der langen Tafel, an der die Mitglieder des Zentralrates saßen, stand Joll. Sein Name ging leise von Mund zu Mund. Er hob seinen Arm, wie wir es eben noch alle getan hatten, und die Ruhe wurde vollkommen.
    »Wir begrüßen«, rief er mit heller, harter Stimme, »die Genossen und Genossinnen, die hier und in aller Welt, heute und zu allen Zeiten als Opfer des Kapitalismus gefallen sind, sie leben in uns!«
    Wer noch nicht stand, erhob sich. Unten, vom Fuß des Turms her, wo die Toten ruhten, tönte gedämpft der Trauermarsch herauf, unter dessen Klängen unsere Brüder in Rußland die gefallenen Revolutionäre zu Grabe tragen. Dort unten hielt jetzt die Jugend Totenwache. Hinter Joll färbte sich die Leinwand: rot überdeckt Bahre an Bahre, eine breite Straße des Schweigens, die kein Ende erkennen läßt, umsäumt von gesenkten Fahnen.
    Diese stummen Minuten härteten unsere Entschlossenheit, Unrecht und Sklavendienst in aller Welt zu brechen.
    Die Musik verklang, das Fernbild verging. Joll trat hinter den Rednertisch und berichtete in knappen Wor ten über den Verlauf des Kampfes. Als er auf die letzten Ereignisse zu sprechen kam, die zum Fall der Morgons führten, erwähnte er auch meinen Namen. Hein wollte »Bravo!« schreien, Jana hielt ihm mütterlich verweisend die Hand vor den Mund. Es war jetzt nicht die Zeit für private Heldenverehrung.
    Joll faßte zusammen: »Wir verdanken unsere Rettung in letzter Stunde einer Reihe von Zufällen und unterscheiden uns dadurch kaum von den Machthabern bürgerlicher Nationalstaaten, die ihre Hoffnung auf Gott und das Schlachtenglück setzen. Wir kannten die Morgons. Wir mußten aus der Geschichte gelernt haben, daß sie keinen Vertrag achten, der ihren Machtwillen eingrenzt. Hyänen und Haifische sind unzähmbar.
    Die Opfer fallen uns zur Last, wir haben sie selbst verschuldet.«
    Diese Anklage, die den Zentralrat unter Noris und die Mehrheit der Genossenschaft traf, die ihn gewählt hatte, wurde mit schweigender Zustimmung hingenommen. Joll sprach die bittere Wahrheit.
    »Es gibt nur eine Sicherung für die Rechte des Proletariats, die es sich in verlustreichen Revolutionen erstritten hat: das ist seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, Selbstverwaltung der Produktion und der Besitz der Energiequellen.
    Der Kampf um politische Gleichberechtigung ist ei ne Vorstufe, über die wir in unserem Gemeinschaftswesen bereits emporgestiegen waren. Dennoch glaubte sich der größere Teil von

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