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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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er mich, daß meine Knochen im Leibe knackten, und schüttelte mich vor Freude wie eine Medizinflasche.
    »Und ich?« sagte Jana. Da nahm er sie behutsam auf seine Arme, wiegte sie wie ein Püppchen hin und her und gab ihr einen festen, brüderlichen Kuß. »So, dat wär für’s erste genug«, meinte er und setzte sie aufs Bett. Dann fuhrwerkte er mit großen Stelzschritten durch das Zimmer. »Dat Marschieren, Jungs, dat viele Singen un dat Fahnenschwenken un all dat Hin und Her, wat nü mal bi ’ne Revolutschon dat Hauptstück is, dat is mir in die Glieder geschlagen.« Er reckte den Arm, seine Pranke umschloß einen unsichtbaren Fahnenschaft, und sang:
     
    Die Flamme loht,
    Die Erde glüht im Schmiedefeuer,
    Hämmert, Gesellen, rot
    Dämmert der Tag und ungeheuer,
    Bald sind wir frei!
     
    Jana sang leise mit. Sie lächelte glücklich unter Tränen. »Wir gehen zusammen, Karl«, sagte sie einfach, nachdem das Lied verklungen war. »Wir wollen unser Leben und unsere Kraft nicht sparen«, und reichte mir beide Hände.
    Hein setzte sich auf die Tischkante und verschnauf te. Er kramte aus der Hosentasche ein Stück Brot, das er sich irgendwo unterwegs gefischt hatte. Während er wacker kaute, berichtete er halb auf utopisch, halb auf hamborgsch: »Dat wor ’ne stürmische Nacht, Mensch, ohne dat uns ’ne Brise um die Neese sprang … doll …
    Meine Leute liefen wie die Bürstenbinder achter den paradiesischen Zuckerplätzchen. Dabei sangen sie Choräle und rangen die Hände. Mittenmang fluchten die Goldgräbers. Mit eins war der Heiland weg. Eklig duster war’s um uns. Da fing’s an, über unseren Köpfen zu heulen und zu brausen. Die armen Sünder legten sich auf den Bauch und schrien: »Nu holt uns alle de Düwel … und so ähnlich, ’s war mir selber unheimlich, obwohl ich’s wußte, dat mit die Fernlenkers.
    Dann war’s lange still. Sie kiekten hin un kiekten her un bunkerten mit den Lichtern. »Wat’s ’n los … worum heft wir uns eegentlich in ’n Dreck smeten«, un wat da an Redensarten umging. Da wußte ick Bescheid, dat Morgon mitsamt seine Strahlers Pumpernickel wor.
    Und nu mal los! So viel Volksreden, as ick hinnereinander gehalten habe, dat gläuwt mir man, snakt kein Reichstagsabgeordneter in fiw Jahren tosammen. Aber sie kapierten, wat ick ihnen in’t Logbuch schriew, un ’t wor ’n grotes Besinnen.
    Dann kam ’n Geschrei: Dort drüben sind noch viel mehr und wissen ooch nich, wat de Klock is. Ich ’nü ber. Waren’s unsere Herren Militärs, die sich an den Nä geln kauten.
    Ho, da hew ick ’ne Revolutschon organisiert, wie sich dat gehört. Die Knarren flogen in ’n Dreck, die Herren Offiziers aus der Lakaienkaste kriegten ihre Tracht Prügel, soweit sie sich nich schon gedrückt hat ten. Wir rissen den ganzen Blinkerkram von den Uniförmchen. ’s war ’n doller Spaß. Aus den Generalsmänteln wurden rote Fahnen gemacht. Und wie der Tag graute, ging’s in Marschkolonne mit Singsang taurück.«
    Wieviel gab es noch zu fragen und zu erzählen, aber dazu blieb uns später Zeit. Die Turmsirene rief. Hein sprang erschreckt auf beide Beine und riß seine hellen Seemannsaugen auf, als wäre ihm ein fetter Fisch durch die Hände geschlüpft: »Nu geiht et los, Döskopp« – er schlug sich die Faust an den festen Schädel – »Joll hat mich ’n Wink gegeben und seggt, ick soll dir in de grote Versammlung lotsen, Korl!«
    Er faßte mich links und Jana rechts unter und schleppte uns zum Fahrstuhl. Mit vielen Leichtverletzten zusammen fuhren wir nach der Turmhalle.
     
39
     
    In der Turmhalle drängten sich an die hunderttausend Menschen. Wir setzten uns auf eine Stufe zwischen den unteren Reihen, die den Invaliden vorbehalten waren. Der große, bühnenartige Aufbau uns gegenüber, der sonst den beliebten Massenspielen diente, glich einem Treppenteppich aus Köpfen und Schultern, es blieb kaum ein schmaler Rampenstreifen für den Zentralrat, der außer Joll und einigen wenigen schon versammelt war.
    Hunderttausend waren Augenzeugen, als aktive Teilnehmer an der Versammlung galten jedoch alle Genossen im ganzen Land. In allen Städten und Werksiedlungen, an den Sammelplätzen der Landkreise, in den Jugendlagern scharten sie sich jetzt um die Lautsprechermasten und hörten jedes Wort, das in der Turmhalle zu allen gesprochen wurde. Überall dort gab es Rednerpulte mit Sende-Mikrophonen. Wer da hineinsprach, wurde ebenso gut im Turm, wie im ganzen Land gehört. Ein automatischer

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