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Vaeter und Soehne

Vaeter und Soehne

Titel: Vaeter und Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivan Sergejevich Turgenev
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Meinung von Pauls praktischem Verstand und fragte ihn immer um Rat.
    »Ich bin ein schwacher, unentschlossener Mann, ich habe mein Leben fern von der Welt zugebracht,« pflegte er zu sagen. »Du hast lange mittendrin gelebt, du kennst die Leute, du hast einen Adlerblick.«
    Anstatt ihm zu antworten, drehte sich Paul um, doch versuchte er nicht, seinem Bruder den Irrtum zu nehmen.
    Auch diesmal ließ er Kirsanoff in seinem Kabinett und schritt durch den Korridor, der durch das Haus lief. Vor einer kleinen Tür angekommen, blieb er stehen, schien einen Augenblick zu zaudern, strich den Schnurrbart und klopfte leise an.
    »Wer ist da?« fragte Fenitschka, »herein!«
    »Ich bins,« antwortete Paul und öffnete die Türe. Fenitschka sprang mit dem Kind auf den Armen vom Stuhl auf; schnell gab sie dieses einer Frau, die damit hinausging; sie selbst brachte eilends ihr Brusttuch in Ordnung.
    »Verzeihen Sie, wenn ich gestört habe,« sagte Paul, ohne sie anzusehen; »ich wollte nur fragen … Man schickt – glaube ich, heute in die Stadt … Lassen Sie mir doch grünen Tee mitbringen.«
    »Wieviel wünschen Sie?« fragte Fenitschka.
    »Ein halbes Pfund wird genügen. – Sie haben ja hier, wenn ich nicht irre, eine Änderung vorgenommen,« fügte er hinzu und warf einen raschen Blick um sich, der Fenitschka streifte; »ich spreche von den Vorhängen,« bemerkte er, da er sah, daß sie ihn nicht verstand.
    »Ja. Nikolaus Petrowitsch war so gut, mir ein Geschenk damit zu machen; sie sind aber schon lange da.«
    »Es ist aber auch schon lange her, daß ich nicht zu Ihnen gekommen bin. Jetzt sind Sie gut logiert.«
    »Dank Nikolaus Petrowitsch,« sagte Fenitschka leise.
    »Sind Sie hier besser untergebracht als in Ihrer vorigen Wohnung hinten im Hof?« fragte Paul artig, aber ohne seinem Ernst etwas zu vergeben.
    »Gewiß, viel besser.«
    »Wer bewohnt jetzt die Zimmer, die Sie im Seitenbau innehatten?«
    »Die Wäscherinnen.«
    »Oh!«
    Paul schwieg. »Jetzt wird er gehen,« dachte Fenitschka; aber er ging nicht, blieb unbeweglich stehen und spielte leicht mit den Fingern.
    »Warum haben Sie den Kleinen forttragen lassen?« sagte Paul endlich. »Ich habe die Kinder gern, zeigen Sie ihn mir.«
    Fenitschka errötete vor Verlegenheit und Freude. Sie fürchtete Paul; er sprach nur sehr selten mit ihr.
    »Duniascha!« rief sie, »bringen Sie Mitia herein (Fenitschka duzte keinen der Dienstboten), aber, nein, warten Sie, man muß ihn erst umkleiden.« Damit wandte sie sich dem Nebenzimmer zu.
    »Das ist nicht nötig,« rief ihr Paul nach.
    »Es dauert nicht lang,« erwiderte Fenitschka und ging eilends hinaus.
    Paul, nun allein, sah sich aufmerksam um. Das kleine Zimmer, in dem er sich befand, war sehr reinlich gehalten. Es roch darin nach Kamille, Melisse und Pfefferminze, vermischt mit einem Geruch von Firnis, denn der Fußboden war neu angestrichen. Die Wände entlang standen Stühle mit lyraförmigen Rücklehnen, die der verstorbene General von seinem letzten Feldzuge in Polen mitgebracht hatte. Hinten im Zimmer stand ein Bett mit Kattunvorhängen; daneben befand sich ein mit eisernen Reifen beschlagener Koffer mit gewölbtem Deckel. In der entgegengesetzten Ecke brannte eine kupferne Lampe vor einem großen und düstern Bild des heiligen Nikolaus; ein kleines porzellanenes Ei hing an einem durch den Heiligenschein geschlungenen roten Bande auf der Brust des Heiligen; auf den Fenstersimsen waren wohlverschlossene Töpfe mit Eingemachtem vom vorigen Jahr aufgestellt. Fenitschka hatte eigenhändig mit großen Buchstaben auf die Papierdecken geschrieben: »Schwarze Johannisbeeren«. Kirsanoff zog diese Konfitüre jeder andern vor. Von der Decke hing an einer langen Schnur ein Vogelkäfig herab; ein grüner Zeisig mit gestutztem Schwanz sang und sprang unaufhörlich darin herum, so daß der Käfig immer hin und her schwankte und Hanfsamenkörner mit leichtem Geräusch auf den Boden niederfielen. An der Wand zwischen den beiden Fenstern hingen über einer Kommode mehrere Photographien von Kirsanoff in verschiedenen Stellungen; ein herumziehender Künstler hatte sie angefertigt. Auch eine Photographie von Fenitschka selbst hing daneben; ein Gesicht ohne Augen, mit gezwungenem Lächeln, hob sich von einem schwarzen Grund ab; mehr konnte man nicht unterscheiden. Über dem letzten Porträt runzelte der General Yermoloff im Tscherkessenmantel die Augenbrauen, nach den Bergen am fernen Horizont hinüberblickend; ein kleiner an demselben

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