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Vaethyr - Die andere Welt

Vaethyr - Die andere Welt

Titel: Vaethyr - Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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langer Zug von Vaethyr, die sich an der Jagd beteiligt hatten. Alle erwiesen ihnen die letzte Ehre. Trotz aller Konflikte war Lawrence der Angelpunkt ihrer Existenz gewesen.
    Sie waren alle dunkel gekleidet. Keiner sprach. Sie waren Schatten, die sich durch die Dunkelheit treiben ließen. Instinktiv tauchten sie in die Schattenreiche ein, damit ein menschliches Auge nichts weiter als Geister zu sehen bekam. Die Nacht schimmerte satt und silberne Netze überzogen das Gras. Freias Krone stand in ihrer wahren Form vor ihnen: ein silbriger Dolmen, der majestätisch in den Himmel ragte. Das von Lucas geöffnete Lych-Tor war schmal, aber gut zu erkennen – die Öffnung einer Grabkammer.
    Jon zögerte. Ginny redete sanft auf ihn ein, und bald darauf fand er den Mut, zusammen mit der Prozession das Labyrinth zu betreten.
    Auf dessen anderer Seite standen Bäume wie eine Mauer, ein gewundener Pfad führte an Wäldern vorbei, deren sanftes Rauschen an einen Ozean erinnerte. Rosie war froh, Elysium so anzutreffen, wie sie es in Erinnerung hatte. Auch auf dieser Seite war es dunkel, als hätte sich Trauer auf die Spirale herabgesenkt, bereit, sie zu empfangen. Körperlich blieben alle in ihrer menschlichen Gestalt.
    Der Weg gabelte sich und sie folgten dem noch unbekannten Pfad durch den Wald, der sie – vorausgesetzt die Landschaft täuschte sie nicht – weit weg von dem Tal führte, in dem Ginny lebte. Keiner sagte ihnen, welchen Weg sie einschlagen mussten. Sie wussten es einfach, als wären ihre überlieferten Erinnerungen gemeinsam mit den Toren geweckt worden.
    Das Gelände stieg an, der Wald lichtete sich. Sie erreichten einen zerklüfteten Berghang voller Felsbrocken und niedriger Vegetation. Doch die Pflanzendecke stand in voller Blüte – jede Blume war ein winziger blauer Stern. Wie ein blaues Spitzengewebe umgab sie den großen, länglichen Stein, der auf dem Rücken lag. Es war ein riesiger und massiver Block aus Lapislazuli. Rosie erahnte die in ihn geschnittenenRunen: Symbole für Elysium, Sibeyla, Naamon, Melusiel und Asru und die anderen Zeichen, die für Ursprung und Spiegel und Wiedergeburt standen.
    Gleich daneben erhob sich noch ein zweiter Block. Und daneben noch einer und noch einer. In unregelmäßigen Abständen sah Rosie Bahren aus Lapis über den ganzen welligen Berghang verteilt, bis sie sich in der Ferne verloren. Und alle schienen leer zu sein.
    Hier legten sie Lawrence und Sam Seite an Seite ab. Auberon schlug das schwarze Tuch zurück und legte ihre Gesichter frei. Ihre gemeißelten Züge waren teilnahmslos den Sternen zugekehrt. Als würde man sie den Krähen und den Geiern aussetzen.
    Jon nahm Iola die Laterne ab und stellte sie auf das Podest zu Füßen seines Vaters. Er kniete nieder, wobei sein Gesicht hinter dem langen Schleier seines Haars verborgen blieb. Um ihn herum wurden Kerzen entzündet. Alle standen um die Bahren herum und wachten schweigend über Lawrence und Sam. Das war alles. Keine Worte, keine Zeremonie. Sie standen nur da und hielten Wache, bis die Nacht zu verblassen begann. So war es elfischer Brauch.
    Rosie blickte hoch zum Himmel. Dick wie Schneeflocken hingen dort die Sterne und ließen ihr kosmisches Zischen hören. Es war wie auf der Erde und doch auf schaurige Weise auch wieder nicht, und sie spürte vor Ehrfurcht ihre Seelen-Essenz aus ihr herausspringen. Als sie die Augen schloss, konnte sie zwei Wölfe sehen, die durch schräg einfallendes silbriges Licht rannten. Ich dachte, auch du seiest unzerstörbar, Sam, sagte sich Rosie. Ich weigere mich zu weinen, denn damit würde ich klein beigeben. Ich werde einfach warten, okay? Wie du darauf wartetest, bis ich endlich begriff, dass ich dich liebe.
    Bei Anbruch der Dämmerung nahmen sie schweigend Abschied und entfernten sich. Rosie schritt an der Seite ihres Vaters. »Was ist eigentlich damit gemeint, dass wir nicht wie die Menschen sterben?«, fragte sie im Flüsterton. »Für mich sieht das endgültig aus. Was wird mit ihnen geschehen?«
    Auberon drückte ihre Schulter. Der Griff tat weh. »Für uns sind die Grenzen fließend.« Seine Stimme war rau. »Vermutlich ist das der entscheidende Unterschied zwischen uns und den Sterblichen.«
    Rosie erschauderte unter der Kälte, die sie beschlich. Sie schautezurück durch die Bäume und dachte dabei an den Klippenrand dahinter und den hohen Damm. Sie stellte sich Sam dabei vor, wie er diesen überquerte; eine flinke Flamme, die zielgerichtet dem Herzen entgegenstrebte.

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