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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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strich sich mit den Fingern durch ihr Haar, starrte eine volle Stunde lang in einem altersfleckigen Spiegel ihr Spiegelbild an, wirbelte herum, sodass ihr Haar sich wie ein Fächer ausbreitete. Lucas gab sich alle Mühe, nicht die auf diese Weise enthüllte elfenbeinfarbene Haut anzustarren, versagte dabei aber kläglich.
    Sie sah noch immer vergoldet und fantastisch aus wie ein Opiumtraum in einem Märchen, hatte inzwischen aber so viel an Substanz gewonnen – hoffte er –, dass es ihr nicht mehr gelänge, in ihre Camouflage zurückzukehren. Sie ließ sich von ihm das Haar flechten und er durfte damit spielen. Als sie freier zu sprechen begann, tat sie dies mit traurigem Gleichmut.
    »Wie lange bist du denn schon hier, in diesem Gemälde?«, begann er.
    »Ich weiß es nicht. Die Zeit steht still, aber die Erinnerungen sind lebhaft.«
    Seidige Flechten glitten durch seine Hände. »Es heißt, wenn Elfenwesen sterben, ist es weniger ein Sterben als eine Verwandlung. Wir werden Elementarwesen oder binden uns selbst an einen Baum, einen Fels oder einen Fluss. Ist es das, was dir widerfahren ist?«
    »Gewissermaßen.« Sie richtete ihre gespenstischen goldenen Augen auf ihn. »Ich bin wie du, Luc. Ein Elfenwesen.«
    »Hat Lawrence dich … getötet?«
    Zum ersten Mal lächelte sie. Der Kosmos ordnete sich in ihm neu. Sie hatte Nachsicht mit seiner Unschuld. Sie war überhaupt kein verängstigtes Rehkitz, sondern ein Geschöpf, so alt, dass es seine Vorstellungskraft sprengte. »Er hat es dir nicht erzählt«, sagte sie. »Wenn alles still ist im Haus, höre ich eure Gespräche. Er will es nicht zugeben.«
    Lucas versuchte das zu begreifen. Offenbar hatte sie alles mitgehört, was in diesem Haus seit Jahren vor sich ging. »Ich wusste, dass er etwas zurückhielt!«
    »Ich entstamme Asru, dem Reich des Geistes«, fuhr sie fort. »Der Spiral Court schickte mich zu Liliana und ich blieb, um Lawrence zu helfen. Sie schicken immer Wächter, die den Torhütern beiseitestehen sollen. Wir halten uns zurück, sind nicht ganz im Verborgenen, werden aber auch nicht gesehen. Ich war die Herrin der Disir .«
    Lucas war verblüfft. »Davon habe ich noch nie gehört. Hattest du … Vollmacht über ihn?«
    »Nein, der Wächter ist nur dazu da, Anleitung und Schutz zu bieten. Wir können eine Verbindung zu den inneren Reichen herstellen. Meine ersten Jahre mit Lawrence waren schwierig. Ich war immer da und half ihm, seinen Weg zu finden … aber er wies mich ab. Dunkler Wahnsinn bemächtigte sich seiner. Ich gab mir alle Mühe, ihm zu helfen, aber ich konnte nichts tun und wurde am Ende überwältigt. Dann ging auch noch seine liebe Frau, aber ich war machtlos und konnte sie nicht zurückbringen. Er vertrieb uns. Ich schäme mich, mein Versagen eingestehen zu müssen, aber am Ende war ich verrückt vor Angst und floh.«
    »Warum hierher? Hättest du nicht nach Asru zurückkehren können?«
    »Warum hier?«, wiederholte sie. »Du bist doch auch hier. Das ist der Ort, wohin er uns treibt.«
    »Oh.« Ihm fiel vor Schreck die Kinnlade herunter, aber sie lächelte.
    »Ich konnte ihn nicht verlassen, Lucas. Er war noch immer mein Torhüter. Ich war noch immer an ihn gebunden. Also versteckte ich mich. Und welkte dahin.«
    Lucas musste an das Weinen denken, das er und Jon jahrelang immer wieder gehört hatten. »Du warst unglücklich.«
    »Oh, der Schmerz in diesem Haus! Ich konnte mich ihm nie verschließen.«
    »Weiß er denn, dass du hier bist?«
    »Ich denke nicht. Er hat schon vor Jahren seine Augen vor mir verschlossen.«
    Eine Schulter tauchte zwischen ihrem wogenden Haar auf. Instinktiv neigte sich Lucas darüber, um sie zu küssen, hielt sich jedoch noch rechtzeitig zurück und meinte, sich verlegen räuspernd: »Äh, Iola, ich bin jetzt der Torhüter. Jedenfalls sagte man mir das.«
    »Ich weiß.« Diesmal war ihr Lächeln mädchenhaft und süß. »Das dürfte auch der Grund sein, weshalb ich wieder in die räumliche Welt zurückgekehrt bin. Du hast mich herausgerufen.«
    »Dann musst du auch mit mir nach unten kommen«, sagte er hoffnungsfroh. »Gemeinsam können wir Lawrence ins Auge sehen.«
    Sie wandte sich ihm zu und legte ihm die Hände aufs Gesicht. »Ich kann nicht.«
    Er bedrängte sie zu sehr. Sie war noch immer zart wie Rauch. Außerdem war Lucas nicht gut darin, energisch aufzutreten, weshalb Lawrence ihn sicherlich wie einen Strohhalm umblasen würde. Wie sollte er hoffen, Iola verteidigen zu können, wo er doch nicht

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