Vaethyr: Die andere Welt
kleines Flämmchen loderte auf, als er seinen großen Schädel mit den ausladenden Hörnern herumschwang. »Es waren Konflikte wie dieser, die zu unserem Untergang führten und dafür sorgten, dass unser Einfluss auf die menschliche Geschichte geringer wurde. Jetzt leben wir im Geheimen, wie Flüchtlinge! Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir keinen Torhüter und auch keine Tore. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich meinem Bullen beim Sterben zusehe, ohne das Undenkbare zu denken? Wenn wir den allmächtigen Lawrence Wilder absetzen müssen, dann tun wir das eben!«
Auberon wartete, bis Comyn mit seinem Ausbruch fertig war. »Nein«, sagte er entschlossen. »Wenn wir das tun, setzen wir womöglich genau die Gefahr frei, die Lawrence fürchtet. Dann könnte die Spirale womöglich auf immer für uns verloren sein.«
»Für meinen Geschmack ist das ein bisschen viel ›könnte‹ und ›möge‹, was wir da befürchten müssen«, grummelte Comyn.
»Er sagt die Wahrheit, Comyn. Die Gefahr ist real. Wir müssen ihm vertrauen.«
»Nun, ich sage, zum Teufel mit der Gefahr«, zischte Comyn. »Nur her damit.«
»Und da würde ich dir auch recht geben, aber ich habe Kinder, an die ich denken muss.«
»Ist etwa dieser langsame, schleichende Tod besser als ein rascher, gewaltsamer?« Comyn atmete durch seine Zähne aus, sein Zorn schien zu verrauchen. »Die Vaethyr vertrauen dir, Bron. Wenn du uns nicht hilfst, wer dann?«
»Genau das versuche ich zu tun«, erwiderte Auberon. »Um einen Konflikt abzuwenden und mit Lawrence in freundlichem Gespräch zu verbleiben. Wenn wir ihn vorschnell zum Feind erklären, was zum Teufel macht das für einen Sinn? Wir werden das nur durch Verhandeln lösen können, nicht durch Krieg.«
Sanft warf Phyllida ein: »Er hat recht, Com.«
»Ich weiß.« Comyn wandte sich Brewster zu und strich ihm sanft über seinen eingefallenen Brustkorb. Phyll beobachtete ihn mit ernster und verzweifelter Miene. »Keine Sorge, Bron, ich trage die Geduld der Berge in mir.« Seine Stimme wurde schwer vor Schmerz. »Ich werde nichts überstürzen. Aber verzeihen werde ich ihm das nie.«
»Das mit Brewster tut mir leid. Wirklich leid.«
Alle schwiegen. Als Comyn sich umwandte, glänzten Tränen in seinen Augen. Noch nie in seinem Leben hatte Auberon ihn weinen sehen.
»Wir warten auf den Schlachter«, sagte er. »Willst du mit uns warten?«
Nachdem Sam gegangen war, nahm Rosie das Kristallherz und hielt es ans Licht. Sie war sich sicher gewesen, dass sie enttäuscht sein würde – ein Anhänger aus Glas. Doch das funkelnde Feuer verzauberte sie von Neuem.
Ob sie es wieder tragen und vor ihrem lieben Vater so tun könnte, als hätte sie es die ganze Zeit besessen? Merkwürdig, dass Sam es die ganzen Jahre aufbewahrt hatte. Vielleicht stünde ihm eine Elstermaske besser zu Gesicht als die eines Falken.
Als Jessica zurückkam und ihr den Arm um die Schulter legte, steckte sie es schnell ein. »Gehe ich recht in der Annahme, dass der berüchtigte Sam für dich schwärmt?«
Der Körper ihrer Mutter war warm und strahlte Geborgenheit aus und ihr Haar duftete köstlich. »Und offenbar auch für dich«, sagte Rosie. »Wahrscheinlich für jedes weibliche Wesen, das nicht schnell genug davonrennen kann. Hast du gehört, warum er von der Schule geworfen wurde?«
Jessica nickte. »Wirklich schade, dass er sich so entwickelt hat. Ein so gut aussehender Junge und zu mir war er unglaublich charmant. Ich möchte ihn nicht aufgrund dessen verurteilen, was man so über ihn hört, aber du tust gut daran, zu ihm auf Distanz zu gehen.«
Rosie biss sich auf die Lippe. Ihre früheren Begegnungen mit Sam hatte sie nie zugegeben. Hätte sie das getan, wäre ihre Mutter vermutlich weniger entspannt gewesen. »Ich habe keine Angst vor ihm.«
»Das brauchst du auch nicht. Vergiss nie, dass wir Elfenwesen sind«, ergänzte Jessica bestimmt. »Egal wie menschlich du aussiehst oder dich fühlst, dein Herz ist elfisch. Wenn du dich bereit fühlst für einen Freund –«
»Ach, Mum.« Beschämt versuchte sie sich aus der Umarmung ihrer Mutter zu lösen, aber Jessica hielt sie fest und sah ihr vollkommen ernst in die Augen, von gleich zu gleich.
»Wenn du dazu bereit bist, Rosie, denk dran, wer du bist. Nichts vermag dir diese Kraft zu nehmen. Anders als die Menschen verfügen wir über die bewusste Kontrolle über gewisse körperliche Prozesse. Das ist unsere Macht.«
Verlegen erinnerte Rosie sich an all die Gespräche –
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