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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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oder völlig neu wiedergeboren werden.«
    Rosie nahm das in sich auf und fand, dass es sich trostlos anhörte und nicht gerade beruhigend. Sie hatte plötzlich das beängstigende Bild vor Augen, eines Tages nach Hause zu kommen und Oakholme verlassen anzutreffen, weil ihre Eltern einfach weg waren … »Und was ist, wenn ein Verrückter mit einer Axt einbricht und mir den Kopf abschlägt?«
    Jessica zog eine Grimasse. »Dann stirbst du und hinterlässt eine Sauerei auf meinem Fußboden, aber dein Wesen reist ins Zentrum der Spirale und wird früher oder später in neuer Gestalt wiedergeboren. Dabei musst du dich nicht notwendigerweise an das erinnern, was du einmal warst. Das hängt von der Willenskraft des jeweiligen Individuums ab.«
    »Klingt beängstigend. Eine Art Reise ohne richtige Gestalt, mit offenem Ende.«
    »Aber es ist auch aufregend. Ich habe mal ein Lied gesungen, in dem es genau darum ging: ›Küss den Spiegel.‹«
    »Ich höre dich manchmal in meinem Kopf singen, Mum. Vielleicht bin ich ja verrückt, aber es ist sehr tröstlich. Ich wünschte, du würdest noch singen. In Wirklichkeit, meine ich.«
    Jessica sah sie aus schmalen Augen an. »Ich kann nicht. Ich habe meine Stimme verloren. Und du bist reizend, aber seltsam – ein wahres Elfenwesen. Hast du sonst noch eine Frage, Liebes?«
    »Ja. Die Initiation?«
    »Nein. Nicht heute. Erst in zwei Jahren.«
    »Und werden die Tore bis dahin wieder offen sein?«
    »Wer weiß?« Die Augen ihrer Mutter trübten sich, wie sie das auch bei ihrem Vater gesehen hatte. »Ich weiß es nicht.«
    »Alles, was du mir erzählt hast, Mum, drehte sich um die Anderswelt und darum, dass man in der Spirale ein und aus geht«, sagte Rosie. »Aber das können wir nicht mehr. Was geschieht stattdessen? Wir sterben einfach, Ende der Geschichte? Matthew mag das ja herbeiwünschen, aber ich nicht. Ich will die Reise.«
    Als Sam im Dunkeln den Berg hinauftrottete, schaute er zurück und sah die Lichter in den Fenstern von Oakholme schimmern. Um ihn herum stob Eis durch die Luft, er war nass und ihn fror, aber es kümmerte ihn nicht. Er hatte nur einen einzigen Gedanken »Rosie, Rosie, Rosie …«, und der ergab keinen Sinn.
    Er war sich nicht sicher, wann es passiert war. Dass sie eine hübsche Figur hatte, war ihm natürlich nicht entgangen, als er sie beim Betreten des Festsaals erblickt hatte. Doch als er sie dann in seinem Zimmer antraf – das war es. Gerade noch war sie eine verzogene Fox gewesen, die man verspotten und quälen konnte. Gleich darauf hatten ihn ihr pflaumenroter Mund und die glutvollen Augen und das prächtige burgunderfarbene Haar und ihr furchtloser Geist überwältigt und dafür gesorgt, dass jedes Fitzelchen Vernunft in einer Sturzflut des Verlangens aufging.
    O ja. Das war hochtrabend, aber absolut wahr. Hoffnungslos. Jedes Wort, das er gesagt hatte, hatte nur dafür gesorgt, dass sie ihn umso mehr hasste. Er konnte machen, was er wollte, jedes Mal, wenn er seinen Mund aufmachte, steckte er bis zum Hals in der Klemme. Und dabei wusste er nicht mal, warum er ständig an sie denken musste.
    In der Nähe des Herrenhauses hörte er etwas im Gebüsch links vom Haus. Still wie eine Eule verharrte er und hielt Ausschau, bis er einen sich bewegenden Schatten sah. In einiger Entfernung folgte er diesem den Berg hinauf, schlich dann näher heran, bis er sich auf dem Gipfel befand, auf Armeslänge von ihm entfernt. Die Gestalt lehnte im Schneidersitz mit geschlossenen Augen an der Felswand von Freias Krone. Sam biss sich auf die Unterlippe. Dann streckte er den Arm aus und packte die Gestalt an der Schulter.
    Jon stieß einen erstickten Schrei aus und sprang so ungestüm auf, dass er fast vom Boden abhob. »Mensch, Sam!« Sein Haar war nass vom Schneeregen und hing ihm in Strähnen ins Gesicht, seine Haut war eiskalt.
    »Was zum Teufel treibst du hier, du Trottel?«, fauchte Sam ihn an.
    »Was glaubst du wohl?«, erwiderte Jon wütend. »Lass mich in Ruhe.«
    »Vorher muss ich aber noch ein paar Dinge klarstellen«, sagte Sam. »Erstens, wie verdammt noch mal willst du in die Anderswelt sehen, wenn du mich noch nicht einmal wahrnimmst, obwohl ich nur fünf Zentimeter von dir entfernt bin?«
    »Verpiss dich.«
    »Zweitens, wenn Vater dich hier erwischt, bringt er dich um.«
    Bei diesen Worten leuchtete Jon noch bleicher im Dunkeln. »Du wirst es ihm aber nicht sagen, Sam.«
    »Nein, aber eines Tages wird er dich erwischen. Sollte er glauben, dass du versuchst

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