Vampire schlafen fest
seinen Namen nicht aus, ich sprach ihn nicht an, ich registrierte seine Anwesenheit nicht. (Genau, das war mein Ex, Bill Compton - was aber nicht heißt, dass ich ihn bemerkt hätte, wie er da in einer Ecke des Zimmers vor sich hin grübelte.)
An der Wand neben ihm lehnte die uralte Thalia, die vermutlich sogar älter war als Eric. Sie war genauso klein wie Indira, sehr bleich, trug ihr rabenschwarzes Haar in brettharte Wellen gelegt - und hatte ein höchst unverschämtes Benehmen.
Erstaunlicherweise machte gerade das einige Menschen absolut an. Thalia hatte tatsächlich ein Gefolge ihr völlig ergebener Anhänger, die auch noch begeistert zu sein schienen, wenn sie sie in gestelztem Englisch abzuwimmeln versuchte. Und ich hatte herausgefunden, dass sie sogar eine eigene Webseite besaß, eingerichtet und gepflegt von ihren Fans. Statt Thalia in Shreveport wohnen zu lassen, hätte Eric auch einen schlecht erzogenen Pitbull im Hof festbinden können, hatte Pam mal gesagt. Pam gefiel diese Entscheidung ganz und gar nicht.
All diese untoten Bürger wohnten im Bezirk Fünf. Und um unter Erics Schutz leben zu können, hatten sie ihm Treue geschworen. Dafür mussten sie einen gewissen Teil ihrer Zeit seinen Befehlen widmen, auch wenn sie nicht im Fangtasia arbeiteten. Im Moment lebten sehr viel mehr Vampire in Shreveport als üblich, wegen Hurrikan Katrina. Genau wie die Menschen hatten sie irgendwohin gemusst. Eric hatte noch nicht entschieden, was aus den untoten Flüchtlingen werden sollte, und sie waren auch nicht zu diesem Treffen eingeladen worden.
Heute Abend waren nur zwei Besucher von auswärts im Fangtasia, von denen der eine sogar höheren Ranges war als Eric.
Andre war der persönliche Bodyguard von Sophie-Anne Leclerq, der Königin von Louisiana. Die Königin war nach Baton Rouge evakuiert worden, wo sie sich derzeit aufhielt. Andre sah sehr jung aus, wie sechzehn vielleicht; sein Gesicht war glatt wie das eines Babys, sein helles Haar dick und schwer. Doch Andre hatte schon ein langes Leben hinter sich, in dem er sich ausschließlich um Sophie-Anne, seine Schöpferin und Retterin, gekümmert hatte. Seinen Säbel trug er heute Abend nicht, denn er war ja nicht als ihr Bodyguard hier. Doch ich war mir sicher, dass er trotzdem irgendwie bewaffnet war - mit einem Messer oder einer Pistole. Aber im Grunde war er ja selbst eine tödliche Waffe, mit oder ohne Hilfsmittel.
Als Andre mich gerade ansprechen wollte, sagte jemand hinter seinem Stuhl mit tiefer Stimme: »Hey, Sookie.« Der zweite Besucher von auswärts, Jake Purifoy. Ich blieb ganz ruhig stehen, obwohl alles in mir geradezu danach schrie, sofort aus dem Büro zu stürmen. So was Idiotisches. Wenn ich vor Andre nicht weggerannt war, wieso sollte ich dann vor Jake türmen? Ich zwang mich, dem gut aussehenden jungen Mann, der immer noch recht lebendig aussah, zuzunicken. Aber ich wusste, dass mein Gruß nicht gerade natürlich wirkte. Jake erfüllte mich mit einer schrecklichen Mischung aus Mitleid und Furcht.
Jake, ein Werwolf von Geburt, war von einem Vampir angegriffen worden und dabei beinahe verblutet. Meine Cousine Hadley (auch eine Vampirin) hatte Jake fast leblos gefunden und ihn herübergeholt, wohl in einem Akt falsch verstandener Barmherzigkeit - okay, man hätte es sicher auch für eine gute Tat halten können. Doch es stellte sich heraus, dass niemand Hadleys Gnadenakt zu schätzen wusste ... nicht mal Jake selbst. Niemand hatte je davon gehört, dass ein Werwolf zu einem Vampir geworden war: Werwölfe verachteten Vampire und misstrauten ihnen, und dieses Gefühl beruhte eindeutig auf Gegenseitigkeit. Für Jake war das alles sehr schwierig, er saß in einer Art Niemandsland. Die Königin von Louisiana hatte ihm schließlich einen Posten in ihren Diensten verschafft, weil kein anderer den ersten Schritt tun wollte.
Blind vor Blutdurst hatte Jake sich nach seinem Erwachen übrigens mich als seinen ersten Vampirsnack ausgesucht. Ich hatte davon immer noch eine rote Narbe am Arm.
Na, das konnte ja ein heiterer Abend werden.
»Miss Stackhouse«, sagte Andre, stand von Erics zweitem Besucherstuhl auf und verbeugte sich. Das war eine Geste echten Respekts, und meine Stimmung hob sich ein wenig.
»Mr Andre«, erwiderte ich und verbeugte mich ebenfalls. Er wies mit der Hand höflich auf den frei gewordenen Stuhl, und da ich so mein Sitzplatzproblem lösen konnte, nahm ich an.
Clancy wirkte verdrossen. Er hätte mir seinen Stuhl anbieten
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